berliner szenen Düstere Herbstträume

Orange hilft

Eigentlich war es wie immer im November. Trotzdem kam mir Berlin noch düsterer vor, als ich es in Erinnerung gehabt hatte. Als hätte jemand den Dimmer runtergestellt. Es schien auch nicht mehr die Sonne. Im Zimmer kriegte man ohnehin nur wenig davon mit. Das Gerüst stand ja immer noch vor den mit Plastikplanen verklebten Fenstern, so dass das Außen von innen kaum zu sehen war. Manchmal huschten die Schemen von Bauarbeitern vorbei.

Meist aber huschte gar nichts. Die hellblau-bleichen Vorhänge, die ich bei Karstadt gekauft hatte, weil sie sich weich anfühlten, waren zugezogen, die Innenlichter angestellt; gedämpft hörte man von der Straße da unten die Automotoren im Hintergrund, leiser als mein Tippen auf der Tastatur.

Ich hatte versucht, so lange zu schlafen, wie es geht. In der Nacht war ich nach einem Traum plötzlich aufgewacht. Ein psychoanalytischer Klassiker: Man drückt auf einen Lichtschalter, doch es bleibt dunkel, dann öffnet man die Tür zur Küche der Kindheit und sieht dort jemanden, der eigentlich tot ist; realisiert das, bleibt einen gefrorenen Augenblick noch im Traum, wacht auf, geht auf die Toilette und versucht dann, so lange wie es geht weiterzuschlafen. Im Halbschlaf am Morgen hatte eine SMS geklingelt, in der später stand: „Dein Fahrrad wird gleich orange sein.“ Ich hatte es ans Gerüst angeschlossen, wo die Bauarbeiter malerten. Als ich rausging, um Milch zu holen, war das Haus fertig gestrichen; von oben bis unten. Zu orange eigentlich, wenn man davor stand. Doch in ein paar Tagen, wenn das Gerüst wieder weg ist, werden die Fenster vom Haus gegenüber unser Orange so zurückwerfen, dass es für uns angenehm ist. Dann gucken wir in den Himmel und es ist schön. DETLEF KUHLBRODT