Geld rettet die Welt

Besonders in der Adventszeit heißt eine linke Devise: Kampf dem Konsumterror – denn unser Wirtschaftssystem ist das Problem, nicht die Lösung! Stimmt schon. Aber trotzdem brauchen wir den Kapitalismus noch – zum Umweltschutz

VON BERNHARD PÖTTER

Der Weihnachtsmann hat es eigentlich schon schwer genug. Wer an ihn glaubt, wird offen diskriminiert. Seine Kleidung gilt als Schleichwerbung, weil Coca-Cola sie erdacht hat. Seine Heimat schmilzt ihm durch die Klimaerwärmung unter dem Hintern weg, seit der Nordpol im Sommer zum Nordpool wird. Doch damit nicht genug. Der alte Mann mit dem Rauschebart ist sogar gefährlich: Bei Konsum- und Kapitalismuskritikern gilt er als Verkörperung des Kapitalismus, als „Doppelgesicht aus Unterdrückung und Konsum“.

Und Santa Claus muss für jeden Witz herhalten. Auf der Homepage der kanadischen Konsumkritiker „Adbusters“ (www.adbusters.org) schwebt ein spirituell erleuchteter Weihnachtsmann in Buddha-Pose als „Zenta Claus“, um die Menschen daran zu erinnern, „Buy Nothing Christmas“ zu feiern – oder zumindest „Buy Less“ oder „Buy Fairer“ zu versuchen. Wie jedes Jahr wollen die Konsumkritiker zeigen, dass wir mit unserer Art von Produktion und Konsum den Planeten (und uns) plündern und zugrunde richten. Und in der Tat: Wenn die Menschen aus Angst vor der Mehrwertsteuer jetzt Fernseher hamstern, wenn allein in Deutschland jeder Vierte „aus kompensatorischen Gründen“ einkauft, wenn für viele Shopping zum Event wird, dann muss man bezweifeln, dass König Kunde noch alle Tassen im Schrank hat. Denn auch sonst zeigen wir Verbraucher, dass wir zwar rechnen können, aber nicht wirklich zurechnungsfähig sind. Wir schreien nach dem 3-Liter-Auto, kaufen aber den spritfressenden Jeep, wir regen uns über Atomkonzerne auf, subventionieren sie aber fleißig über unsere Stromrechnung, wir ekeln uns vor Gammelfleisch und braten uns das Billigschnitzel.

Das Weihnachtsmann-Bashing hat einen tieferen Grund: Konsumkritiker und Umweltschützer stellen mitten im Weihnachtsgeschäft die Systemfrage, und sie liefern die Antwort gleich mit: Im Kapitalismus kann es keinen wirklichen Umweltschutz geben, so der Tenor. Zu mächtig sei das Profitstreben der Unternehmen, zu gnadenlos die internationale Konkurrenz, zu skrupellos das ungezügelte Kapital, als dass auf Artensterben und Klimawandel Rücksicht genommen würde. Mit Blick auf das aktuellste und größte Umweltproblem, das wir derzeit und für die nächsten paar Jahrhunderte haben – den Klimawandel – muss man allerdings sagen: Da liegen die Kritiker falsch. Eine Lösung des Problems wird es nur im Kapitalismus geben. Geld rettet die Welt.

Selbstverständlich ist das momentane Modell der Wirtschaft Teil des Problems und nicht der Lösung. Selbstverständlich „siegt sich der Kapitalismus zu Tode“. Aber was ist die Alternative? Über den Staatssozialismus, der es geschafft hat, das kapitalistische System in puncto Ausbeutung von Menschen und Natur und bei akuten Ökokatastrophen „auf Weltniveau“ noch zu überflügeln, muss man nicht reden. Und die Klimakonferenz in Nairobi hat wieder einmal gezeigt, wie sich beim Klimaschutz das „Primat des Politischen“ in heiße Luft aufgelöst hat. Der lächerliche Beschluss, die Ergebnisse des Kiotoprotokolls in den nächsten Jahren zu überprüfen, ist nichts anderes als die Diskussion, ob der Klimaschutz nun kiotot oder nur kioscheintot ist.

Ähnlich wie bei der „Globalisierung“ funktioniert das System der politischen Leitung von Volkswirtschaften im Nationalstaat auch beim Klimaschutz nicht mehr: Die Minister können auf den Konferenzen viel versprechen – zu Hause können und wollen sie es nicht umsetzen, weil sie die Akteure des Klimadesasters – Unternehmen und Verbraucher – längst nicht mehr erreichen. Die einen wandern ins Ausland ab. Die anderen gehen shoppen.

Umso interessanter sind die Versuche, den Teufel tatsächlich mit dem Beelzebub auszutreiben –und die kapitalistischen Folterinstrumente zum Schutz des Klimas einzusetzen. So schlägt der CDU-Umweltpolitiker Lutz Wicke in seinem Buch „Kyoto plus“ vor, allen Menschen auf der Welt die gleiche Lizenz zum CO2-Ausstoß zu geben und somit einen schwungvollen internationalen Handel mit Verschmutzungsrechten zu beginnen. Der Star unter den globalisierungskritischen Ökonomen, Joseph Stiglitz, will die USA wegen ihrer Weigerung beim Klimaschutz wegen unerlaubter Subventionen ihrer Wirtschaft mit Handelssanktionen belegen. Und Tony Blairs Kämpfer gegen den Klimawandel, Weltbankökonom Nicholas Stern, hat die kommenden Katastrophen in die einzige Sprache übersetzt, die der Kapitalismus versteht: Geld – insgesamt 5,5 Billionen Dollar. Stern nennt den Klimawandel ein „einzigartiges Marktversagen“.

Denn in der Tat leidet der Klimaschutz nicht unter zu viel, sondern unter zu wenig Kapitalismus: Weil an der Atmosphäre kein Preisschild klebt, kann sie jeder als Müllhalde missbrauchen. Der neoliberalen Schwindelei folgend, herrscht an den neuralgischen Punkten des Systems eben kein Markt und kein Wettbewerb: Subventionen sind nach dieser Lesart Teufelszeug – es sei denn, sie schützen die eigenen Bauern, die Autoindustrie oder die Kohlewirtschaft. Der Staat darf Unternehmen nicht helfen – es sei denn, es handelt sich um Steuergeschenke an Großkonzerne. In all diesen Bereichen und besonders beim Klimaschutz würde man sich den „Terror der Ökonomie“ wünschen: Einen Preis für alles und jedes, gleiche Rechte für alle. Auch für die Umwelt.

Tatsächlich ist das Profitstreben von Privaten und Unternehmen der einzige dauerhaft verlässliche (und damit „nachhaltige“!) Antrieb, auf den man in der Klimapolitik bauen kann. Denn alle anderen Motivationen erreichen nicht alle Menschen und nicht zur gleichen Zeit. Ethisch-moralische Appelle helfen höchstens in der Weihnachtszeit oder nur bei einer verschwindenden Minderheit. Die kleinteilige staatliche Regulierung beim Klimaschutz ist in der Praxis gescheitert. Die internationale Diplomatie eilt von einer Sackgasse in die nächste. Das hat sich in Nairobi gezeigt. Und das zeigt sich in Brüssel, wenn die EU-Kommission die europäischen Länder kritisiert, weil diese ihren Industrien zu viele Verschmutzungslizenzen zugeteilt haben.

Ehe die Politik aber den Bock zum Gärtner macht, hat sie noch eine große Aufgabe: dem Bock die Gartengeräte zuzuweisen. Ein marktorientierter Klimaschutz über Zertifikate oder eine Kohlenstoffsteuer muss von den Regierungen installiert werden, ehe sie sich aus einem Großteil ihrer nationalen Klimaschutzprogramme verabschieden können: Die Staaten müssen festlegen, welche Institutionen in welchem rechtlichen Rahmen agieren sollen und wie das Geld aus dem Lizenzhandel zum Klimaschutz und zur Milderung der Klimafolgen verteilt wird. Das Vorbild Globalisierung und WTO zeigt, dass Nationalstaaten sehr wohl auf ihre souveränen Rechte verzichten und dem Markt das Feld überlassen können.

„Kauf-nichts-Weihnachten“ ist trotzdem eine gute Idee. Denn auch wenn der Kapitalismus genutzt wird, um die Klimakatastrophe nicht eskalieren zu lassen, wird es noch genügend Gründe gegen den sinnlosen Konsum geben. Nach wie vor werden Konsumenten ihre persönlichen Defizite im Kaufrausch begraben. Nach wie vor werden Unternehmen versuchen, Hungerlöhne zu zahlen, Konkurrenten und die Umwelt zu zerstören, Gesetze zu umgehen, und nur auf den Profit schielen. Aber vielleicht könnten Umweltschützer und Konsumgegner ihre Kapitalismuskritik differenzieren. Wenn also der liebe gute Weihnachtsmann demnächst in seinem Sack hocheffiziente Elektrogeräte, Solarzellen und Bio-Christstollen für alle Menschen, groß und klein, hat, dann wollen wir ihm mit glänzenden Augen dafür danken. Wenn aber die Kapitalisten im chinesischen Shenzhen, dem „weltweiten Zentrum für billigen Weihnachtsschmuck“, Mindestlöhne und kürzere Arbeitszeiten für die Beschäftigten zum Anlass nehmen, die Firmen zu schließen und anderswo die Arbeiter noch besser auszupressen – dann sollten wir das dem Weihnachtsmann, diesem alten Ausbeuter, nicht durchgehen lassen.

Von Bernhard Pötter als Buch erschienen: „König Kunde ruiniert sein Land. Wie der Verbraucherschutz am Verbraucher scheitert. Und was dagegen zu tun ist“. oekom verlag, 2006