Chicago-Traum ausgeträumt

HÖHENRAUSCH Die Politik will, dass Hamburg weiter wächst – auf der nach oben offenen Etagenskala. Hochhäuser sollen die Ausnahme bleiben

Das Schlimmste wird wohl doch nicht eintreten. Den „Chicago Square“ in der Hamburger Hafencity mit einem halben Duzend Wolkenkratzern wird es nicht geben, auch vier mindestens 150 Meter hohe Wohntürme sind aus den Modellen getilgt. An den Elbbrücken, an der östlichsten Spitze der Hafencity sollten sie zwischen Fernbahngleisen und achtspuriger Stadtautobahn „ein neues Entree zu einer neuen Stadt“ bilden, wie es der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) vor fünf Jahren nannte, als er den Masterplan für die östliche Hafencity vorstellte. Der Mann ist Geschichte, seine Träume von der wachsenden Stadt ebenfalls.

Es ist die Silhouette der Kirchtürme in der Innenstadt, die unter den hanseatischsten aller Hanseaten, den Hamburgern, als unantastbar gilt. Die Türme von vier der insgesamt fünf Hamburger Hauptkirchen sowie die Ruine der im 2. Weltkrieg zerbombten Kirche St. Nikolai, die nun ein Mahnmal ist, müssen von allen Seiten gesehen werden können. Das ist in Hamburg ein ungeschriebenes Gesetz, und die sind ja bisweilen die ehernsten.

Diese Sichtachsen schränken folglich Höhen und Standorte von Neubauten erheblich ein. In der Hafencity gibt es die 110 Meter hohe Elbphilharmonie und einige rund 70 Meter hohe Wohn- und Bürotürme, aber die Sicht auf die Kirchen bleibt frei. Der Maßstab in der Innenstadt ist die Gründerzeit: Die sechs- bis siebengeschossigen Gebäude aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geben die Höhe vor. „Hamburg soll keine Hochhausstadt werden“, lautet der Kernsatz im Programm „Perspektiven der Stadtentwicklung“, die der SPD-Senat in dieser Woche vorgestellt hat. Hochhäuser seien nur „an ausgewählten Standorten verträglich und attraktiv“.

Im vorigen Jahr löste Bürgermeister Olaf Scholz erstmals sein Wahlversprechen ein, jährlich mehr als 6.000 Wohnungen bauen zu lassen. 6.400 sind es geworden, und so soll es weitergehen, um den Mietpreisdruck zu lindern und bezahlbare Wohnungen zu schaffen für junge Familien, deren Zuzug so heiß erwünscht ist.

Bauplätze indes sind teure Mangelware in Hamburg, und deshalb heißt das Zauberwort „Verdichtung“. Um Wohnraum zu schaffen, sollen nach dem neuen Perspektivkonzept die letzten Baulücken geschlossen und die Zahl der Geschosse in Mietshäusern erhöht werden. Und das ginge abseits der Kirchtürme auch moderat in der Höhe. Rund ein Dutzend Quartiere vor allem im Nordwesten der Stadt, aber auch südlich der Elbe in Wilhelmsburg und am Harburger Binnenhafen haben die Planer bereits im Blick. Bis 2030 könnte dort Wohnraum für zusätzliche 70.000 Menschen entstehen. Danach aber, das ist das stille Eingeständnis, ist Hamburg voll – knapp vor der Zwei-Millionen-Grenze.  SVEN-MICHAEL VEIT