Von Kreditkarte bis Cargo-Bike

AUSRÜSTUNG Ich packe meine Radtasche und nehme mit – ja, was denn? Und nur eine Tasche? Oder lieber gar keine? Eine Radreise muss nicht mit der Qual der Wahl beginnen

Der Velonomade hat alles, braucht aber gut und gern eine Spielfilmlänge, bis er seinen gesamtem Hausrat aufs Rad gepackt hat

VON GUNNAR FEHLAU

Angeblich war das Reisen mit dem Rad nie so einfach wie heute. Es gibt reichlich schöne Ziele, gute Infrastruktur vielerorts und dazu Dienstleister, die bereit sind, für allerlei Annehmlichkeiten zu sorgen. Und dank Smartphone und Wetter-App lässt sich auch das meteorologische Überraschungsmoment minimieren. Wohl gerade deshalb hat sich die eigentlich letzte Frage der Radreisenden mehr und mehr in den Vordergrund gedrängt: Welche Ausrüstung braucht es denn für eine gelungene Radtour? Kurz: Was muss mit?

Jede Radtour ist wie das Leben selbst: Geld regiert die Welt und somit auch die Radtour. Mit Geld lässt sich ja irgendwie jedes Problem lösen. Und wer so denkt, könnte auf einen überaus radikalen Ansatz verfallen: CCT, Credit-Card-Touring. Ein Fahrrad, dazu das, was am Körper getragen wird, die Zahnbürste und die Kreditkarte reichen hier völlig aus. Fehlende Ausrüstung wird unterwegs angeschafft. Von allen Unannehmlichkeiten kauft man sich schlicht frei: Abends geht es ins Hotel, dort lässt man sich die Bekleidung waschen, während Masseur oder Masseuse die müden Beine durchwalkt und Zimmerservice oder Pizzadienst leckere Speisen bringt. Sollte es unterwegs mal regnen oder der Pannenteufel das Vorankommen beschwerlich machen: mit dem Handy ein Taxi rufen und sich gemütlich Richtung Fahrradladen oder Sonnenschein chauffieren lassen. Das funktioniert in Illinois, in Isernhagen und auch im Iran. Der Reisegenuss und die Reisegeschwindigkeit jedenfalls sind beträchtlich – für die Fallhöhe nach Erhalt der Kreditkartenabrechnung gilt das möglicherweise ebenso.

Am anderen Ende der Ausrüstungsskala finden sich die Velo-Nomaden: Selten kommen sie mit der „Six-Pack“ genannten Konstellation aus: zwei vordere Lowrider-Taschen, zwei Hecktaschen, Lenkertasche und eine Packrolle quer über dem Heckträger. Das soll reichen? Ein Reiseanhänger, ein zusätzlicher Rucksack oder gar ein reisetaugliches Cargo-Bike, so etwas sollte es doch schon sein. Denn wer schafft es allen Ernstes, abends im Dreimannzelt mit zwei Meter Stehhöhe auf den Doppelgasherd samt Espresso-Aufsatz zu verzichten?

Während der CCT-Reisende binnen fünf Minuten ausgecheckt hat und sportiv vom Hof fährt, braucht der Velonomade gut und gerne eine Spielfilmlänge, bis er seinen kompletten Hausrat aufs Rad gepackt hat. Zwei Typen von Radreisenden, die kaum etwas eint. Der eine lässt die Kreditkarte glühen, verlässt sich auf die hypermoderne Dienstleistungsinfrastruktur des Internetzeitalters, nutzt deren Vorzüge, um dann vermeintlich authentisch über schmale Straßen die Natur zu genießen. Sein Fahrstil ist sportlich, seine Vorbilder sind die Heroen des Radsports, seine Ziele zumeist die ruhmreichen Pässe der Alpen und Pyrenäen. Der Velonomade sucht die Ursprünglichkeit, die Wurzeln der Menschheit, will pedalierend zur Wiege des zivilisatorischen Seins. Am liebsten ist er allein unterwegs, will autark durch unberührte Regionen streifen und sich als Entdecker wähnen: Hier bin ich Ötzi, hier darf ich’s sein.

Beruhigend zu wissen, dass die meisten Reiseradler irgendwo in der Mitte dieser beiden Extreme anzutreffen sind. Damit sind deren Probleme aber keinesfalls gelöst: Auch sie müssen ja ihre Taschen packen, bevor die Reise beginnt. Die Parameter sind das eigene Portemonnaie, der angestrebte Fahrstil aus Tempo und Distanz, die individuelle Komfortzone bei Speisen und Quartier und die Fähigkeit, mit Unannehmlichkeiten und anderen nicht einkalkulierten Überraschungen umgehen zu können. Ob man zeltet oder stets ein „richtiges Bett“ braucht, kann nur subjektiv beantwortet werden. Ob man zugunsten leichter Ausrüstung auf eine Bettlektüre, ein Stativ, einen zweiten Kocher oder gar eine Regenbekleidung verzichtet, auch das muss jeder selbst entscheiden.

Spannend wird es noch einmal, wenn man sich gegen den Verzicht entscheidet und dennoch leicht unterwegs sein will. Ein Beispiel: Einmannzelte gibt es im Gewichtsspektrum von 450 bis 2.500 Gramm. Die Preise variieren zwischen 29,95 Euro und mehr als 1.000 Euro. Und die Gleichungen schwer gleich billig sowie leicht gleich teuer funktionieren in der Realität nicht. Es gibt, nicht nur beim Zelt, eine Menge zu beachten, was Einfluss auf die richtige Auswahl hat. Dazu braucht es Fachwissen und auch die Zeit und Muße, sich damit zu beschäftigen.

Was also tun? Was mitnehmen, was zu Hause lassen? Unbedingt sollte man die Kirche im Dorf lassen und selbiges recht bald hinter sich. Radreisen sind keine Frage der Ausrüstung, sondern der Motivation: Wer unterwegs ist, der lernt und erlebt etwas. Und sei es nur die Erfahrung, wie unzulänglich oder wie unnötig doch die vorher so sorgfältig überlegte Packliste sein kann.