Hacker-Angriffe, Rekordstau und Blues

PROTEST Obwohl die jüngsten Anti-WM-Demonstrationen in Brasilien größtenteils friedlich und fantasievoll verlaufen, reagiert die Regierung maßlos. Mit kompromissloser Härte setzt man auf das Prinzip Abschreckung

Aber zu Gewalt wird es kommen, das garantiert allein schon die Polizeistrategie

RIO DE JANEIRO taz | „Wenn es kein Recht gibt, wird es keine WM geben“, war auf der Website des WM-Vorbereitungskomitees in São Paulo zu lesen. Einer von vielen Hacker-Angriffen, die der Fifa und den Behörden Sorgen bereiten. Zumal die Anonymous-Gruppe via Twitter ankündigte, zum Eröffnungsspiel am 12. Juni einen Großangriff zu starten.

Vielfältig und fantasievoll sind die Aktionsformen im Vorfeld des globalen Fußballspektakels. Die Aktivisten vom Coletivo Vinhetando etwa beschaffen sich päckchenweise die beliebten Panini-Sammelbildchen, versehen die Fußballstars kunstvoll mit schwarzen Demo-Masken, verschließen die Tütchen wieder sorgsam und bringen sie zurück in den Handel. Die entsprechende Bauanleitung dafür ist im Internet hinterlegt.

Weil der Karikaturist Sandro Menezes es ärgerlich fand, dass die schicken Bilderalben bei Protestevents oft symbolträchtig verbrannt wurden, schuf er seine eigene Version namens „Ñ Vai Ter Copa“. Nur zwei Teams gibt es dort, die Protestler und ihre Helden auf der einen und die Repräsentanten der repressiven Staatsmacht samt korrupten Politikern auf der anderen Seite.

Der Protest ist kreativ und der Unmut groß. Die Verschwendung öffentlicher Gelder und die verfehlte Stadtplanung sind Anliegen aller Bewegungen. Die Regierung hat Angst davor, dass sich die Massendemonstrationen und Ausschreitungen vom vergangenen Juni wiederholen. Dabei glaubt kaum jemand daran, dass die „Massen“ zur WM wieder demonstrieren werden. Zu groß ist die Furcht vor Polizeiübergriffen und dem medial aufgebauschten schwarzen Block, zu diffus ist auch die politische Lage.

Aber zu Gewalt wird es kommen, das garantiert allein schon die Polizeistrategie: Bei jedem kleineren Protestzug dieser Tage kommen sofort Tränengas und Schlagstock zum Einsatz. So auch am Dienstag, als Hunderten Indígenas, die in der Hauptstadt Brasilia für ihre Rechte und gegen die Großgrundbesitzer demonstrierten, sich rund 2.000 WM-Gegner anschlossen. Vor dem Mané-Garrincha-Stadion stoppte die Polizei den friedlichen Zug mit Gewalt.

Vielleicht befürchtete man, dass die Protestler – wie bereits in anderen Städten versucht – den WM-Pokal klauen wollten, der dort gerade präsentiert wurde. Pfefferspray und Tränengasschwaden konnten nicht verhindern, dass die Indígenas ihre doch eher traditionellen Waffen einsetzten. Mindestens ein Polizist wurde durch einen Pfeilschuss verletzt.

Die Demos werden kleiner, aber dafür politischer. Die Anti-Copa-Komitees planen Aktionen in allen großen Städten, oft sind soziale Bewegungen wie die Landlosen, LGBT-Gruppen oder die Obdachlosen dabei. Letztere besetzen derzeit leerstehende Gebäude und Behörden oder blockieren Straßen gezielt zur Rushhour. In São Paulo trugen sie zusammen mit Streikenden vergangene Woche zum Rekordstau von 344 Kilometern bei. Da schafft auch der Einsatz von Soldaten und Helikoptern keine Abhilfe.

Auch einige Gewerkschaften nutzen das Scheinwerferlicht vor der Weltmeisterschaft zu Streiks. Doch nur einige wie die Lehrer und Uni-Angestellten schließen sich auch den Anti-Copa-Protesten an. Im Gegensatz zu den Busfahrern und den Polizisten, die mit der Protestbewegung keine gemeinsame Sache machen wollen.

Musik ist ein weiteres Mittel des Protests. Die Gruppe Universo Groove Cênico kritisiert Polizeigewalt und Elitisierung des Fußballs nach Fifa-Vorgaben. Dabei ist Songwriter Pedro Ubanto alles andere als ein Fußballhasser. In seiner Jugend wohnte er Tür an Tür mit dem Bayernstar Dante. Gemeinsam kickten sie auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Bald wird er dem Nationalspieler Dante die Daumen drücken und in der Spielpause seinen Protestblues abspielen.ANDREAS BEHN