Hertha geht in Bremen auf Tauchstation

In der ersten Halbzeit werden die Berliner Kicker im Weserstadion regelrecht vorgeführt. Doch am Ende wäre dank einer ordentlichen Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte etwas mehr drin gewesen als die 1:3-Niederlage

Irgendwohin musste ja der Frust. Als sich ihm ein unschuldiger Metallkoffer direkt vor der Hertha-Kabine in den Weg stellte, hatte Andreas Schmidt sein Opfer gefunden. Ein kräftiger Tritt, ein krachendes Geräusch, dann ein grimmig-entschlossener Blick: Der Routinier hatte just um 17.30 Uhr am Samstag kompromisslos seinen Zorn über die 1:3-Niederlage beim Titelfavoriten Werder Bremen entladen.

Gewöhnlich folgen solch Fußballerreflexe auf unnötige wie unglückliche Niederlagen – und betrachtet man allein die zweite Halbzeit im voll besetzten Weserstadion, dann ist die Schmidt’sche Handlung auch zu verstehen. Da hatten die Berliner nämlich in Bremen einen prima Eindruck hinterlassen, ließen den Ball hübsch laufen – woran die eingewechselten Andreas Neuendorf und Yildiray Bastürk großen Anteil hatten –, kämpften vorzüglich und erspielten sich die besseren Chancen. Und dann das: „Hätte der Schiedsrichter uns das 2:3 nicht aberkannt, wären wir vielleicht noch einmal rangekommen“, konstatierte Yildiray Bastürk.

Doch Herbert Fandel entschied bei einem korrekten Kopfballtreffer von Josip Simunic (72.) auf Abseits – eine Fehlentscheidung, wie TV-Bilder später zeigten. „Wer weiß, wie es dann gelaufen wäre“, mutmaßte Herthas Trainer Falko Götz, räumte aber freimütig ein: „Um in Bremen zu bestehen, hätten wir 90 Minuten auf diesem hohen Niveau gebraucht.“

Denn dummerweise präsentierte sich seine Spieler in den ersten 45 Minuten in einer Verfassung, die den neutralen Beobachter rätseln ließ, wie es die Hertha auf Platz fünf der Liga hat schaffen können. Ohne Bastürk, ohne die Stürmer Marko Pantelic und Christian Gimenez präsentierte sich das junge Ensemble in einer erschreckenden Verfassung. Beinahe in Minutenabständen wackelte die Defensive, während in der Offensive bis auf das vorübergehende Ausgleichstor von Simunics Abstauber (25.) fast gar nichts ging. „Die erste Halbzeit war komplett verhagelt“, gab Götz zu. Viel zu viele individuelle Fehler hätten seine Spieler begangen. „Bremen hat das dankbar angenommen.“

Vor allem Miroslav Klose: Überließ der formidable Nationalspieler nach einem Simunic-Handspiel noch Regisseur Diego die Ausführung des Elfmeters (23.), setzte der 28-Jährige danach ganz allein die Glanzlichter. Sein Kopfball zum 2:1 nach herrlicher Flanke (32.) und sein Schwindel erregendes Dribbling gegen Unglücksrabe Simunic (nach einem Fehlpass von Kevin Boateng) zum 3:1 (40.) ließen gar Manager Dieter Hoeneß ungewohnt milde klingen: „Klose ist in der Form seines Lebens, und Bremen hat ein unglaubliches Tempo vorgelegt: Man kann da Simunic gar keinen Vorwurf machen.“ Wohl aber der gesamten Mannschaft: Eigentlich sollte ein Team mit internationalen Ambitionen sich nicht so wehr- und willenlos am Nasenring durch die Manege führen lassen. Hoeneß blickte indes lieber nach vorn: „Mit Pantelic und Bastürk schaut die Welt wieder anders aus.“ Was bereits am Freitag bei Bayer Leverkusen zu beweisen wäre.

Viel eher steht Werder Bremen im (internationalen) Blickpunkt: Dort rückte der samstägliche Pflichtsieg unmittelbar nach dem Abpfiff ziemlich in den Hintergrund. Denn im Grunde hat Bremen seit Tagen nur noch eines im Kopf: das morgige „Endspiel“ in der Champions League beim FC Barcelona. Mit einem Remis kann Werder den Titelverteidiger kippen – ein Umstand, der selbst Falko Götz bei der Pressekonferenz dazu veranlasste, das Schlusswort zu sprechen. „Ganz Deutschland drückt Bremen die Daumen – und selbst wir Berliner sind am Dienstag alle Werder-Fans.“ In Richtung des Kollegen Thomas Schaaf riet er: „Thomas, putz die weg.“ Frank Hellmann