„Man gäbe den Anspruch auf, kreativ zu sein“

Das Konzept von Michael Schindhelm würde die Deutsche Oper zu einer bloßen Spielstätte degradieren, kritisiert deren Intendantin, Kirsten Harms. Dabei habe ihr Haus schon viel gespart und sei eine der wirtschaftlichsten Opern der Welt

taz: Frau Harms, das Konzept des scheidenden Chefs der Opernstiftung sieht für Ihr Haus einen „Stagione-Betrieb“ vor. Was heißt das?

Kirsten Harms: Das ist eine Umschreibung für einen sehr weitgehenden künstlerischen Einschnitt. Es bedeutet, dass man sehr viel weniger spielt – etwa die Hälfte der Vorstellungen, die wir heute haben – und mit überwiegend koproduzierten Inszenierungen, die man sich in der Regel anderswoher holt. Man gibt damit den Anspruch auf, künstlerisch kreativ zu sein, und damit auch den kulturellen Auftrag, gesellschaftliche Veränderungen zu reflektieren und in Theatererlebnisse umzuformulieren. Die Deutsche Oper wäre eine bloße Spielstätte.

Was wäre daran so schlimm?

Das eigene Ensemble zum Beispiel würde aufgelöst, man würde alles mit Gästen besetzen. Zugespitzt formuliert, ist es eine Art Kulturglobalisierung. Eine Produktion würde ebenso in Frankreich oder England wie Deutschland gezeigt. Bisher konnten Städte ihre eigenen Theater entwickeln. Nun müsste man sich immer fragen, ob das, was man machen möchte, auch überall gleich gut gezeigt werden kann.

Es gibt aber schon zwei eigenständige Opern in Berlin. Reicht das nicht?

Die Deutsche Oper ist das große Haus in Berlin, das eigens dafür gebaut wurde, die großformatigen Werke von Wagner, Verdi, Strauß aufzuführen. Die beiden anderen können auch kleinere Formen sehr gut spielen. Zudem hat sich die Deutsche Oper in Jahrzehnten eine internationale Wertschätzung erworben – gewiss auch durch ihre Lage im ehemals freien Westberlin. Heute ist Berlin mit seinen drei Häusern auf dem Weg, die Welthauptstadt der Oper zu werden. Diese Dichte an Theatern gehört zur Berliner Kunstszene hinzu. Sie ist ein Magnet, der Dichter, Denker, Komponisten und Sängerpersönlichkeiten anzieht.

Die Frage nach dem Geld bleibt trotzdem bestehen.

Wirtschaftsinstitute sagen, dass jeder Euro, der in ein Theater gesteckt wird, 2,7-mal zurückkommt. Das ist ein wirtschaftlicher und geistiger Motor für unzählige Gewerbe, angefangen von Taxiunternehmen bis hin zu Ausbildungsinstitutionen. Die Oper ist kein Luxus, sondern sehr gut angelegtes Geld.

Falls Sie dem Konzept der Opernstiftung nicht zustimmen, verlangt der Regierende Bürgermeister bis Ende Januar einen Alternativvorschlag. Wie könnte der aussehen?

Man darf nicht vergessen, dass wir Opernhäuser bereits Millionen Euro an Einsparungen erbracht haben. Vom ersten Tag meiner Intendanz an habe ich in allen Bereichen nach Sparmöglichkeiten gesucht. Wir gehen einen harten Weg und haben ein gutes Stück hinter uns gebracht. Die Deutsche Oper ist eine der wirtschaftlichsten der Welt. Wir haben einen Etat von 45 Millionen Euro. In Paris mit seinen zwei fusionierten Häusern sind es 173,7 Millionen Euro. Barcelona hat einen Etat von 53,1 Millionen und spielt im Stagione-Betrieb 100 Vorstellungen mit 12 Produktion. Wir spielen mit unserem Geld 178 Opernvorstellungen und haben 39 Titel im Repertoire. Dazu kommen Liederabende und Ballett.

Trotzdem ist unstrittig, dass das bisher eingeplante Geld des Senats nicht reichen wird.

Herr Schindhelm würde mit seinem Konzept ganze 4 Millionen Euro einsparen. Das ist verschwindend wenig im Vergleich zu dem Schaden. Das Signal, dass Berlin dichtmacht, wäre verheerend. Wir haben noch ein Potenzial in unserem Zuschauerraum. Er hat die Größe anderer internationaler Bühnen: Wenn wir eine Auslastung von 80 Prozent schaffen, sind wir finanziell aus dem Schneider. Wir sind dabei, mit einem modernen Vertrieb und Marketingmaßnahmen aktiv zu werden. Die Zahlen gehen nach oben. Wir haben die Möglichkeit, die finanziellen Vorgaben zu erfüllen. Ob wir das in sehr kurzer Zeit schaffen, ist sicher eine Frage, aber auch die von Schindhelm vorgeschlagene Umstrukturierung würde Jahre brauchen.

Interview: Niklaus Hablützel