„Die Milieus, die wir hatten, haben wir verloren“

Uwe Lehmann, Geschäftsführer des Landesverbands Sachsen von Bündnis 90/Die Grünen, vermisst die Bürgerrechtstradition in seiner Partei

taz: Herr Lehmann, Sie sind unzufrieden mit dem geplanten neuen Logo der Grünen – und verbinden dies mit Kritik an Ihrer Partei. Was stört Sie?

Uwe Lehmann: Wir sind eine bunte, bewegliche Partei, unser Symbol war immer die Sonnenblume. Das Logo aber ist eckig und quetscht die Sonnenblume an den Rand. Dieses Schlicht-Minimalistische entspricht vielleicht dem Zeitgeist. Aber die Botschaft ist: Starre. Im Werbejargon heißt das „aufgeräumt“, aber das passt nicht zu uns. Und: Diese Partei ist angeblich zusammengewachsen aus Bündnis90 und Grünen. Da kann man sich nicht präsentieren mit einem Logo, in dem der Bündnis-Name viel kleiner ist als der der Grünen.

Mal ehrlich: Wer von dieser Partei 16 Jahre nach der Wiedervereinigung redet, spricht von den Grünen.

Es geht doch nicht darum, ob man darüber redet. Bündnis 90 steht für mich für eine politische Frage, für eine Identität, genau wie die Grünen auch.

Welche Rolle spielt diese ostdeutsche Identität in der Partei von heute?

Mir zeigt die Debatte über das Logo, dass man diese wechselseitige Identität nicht auf beiden Seiten gemeinsam sieht. Ich habe die grüne Geschichte für mich entdeckt. Gorleben gehört jetzt zu meinem Leben dazu. Und ich wünsche mir von den Grünen im Westen, dass sie entdecken, dass auch die Nikolaikirche in Leipzig zu ihrem Leben dazugehört.

Die Grünen haben sich lange kaum mit der Vereinigung befasst. Hat es inzwischen eine Diskussion gegeben?

Die Grünen im Westen haben verpasst, dieses historische Versäumnis aufzuarbeiten. Direkt nach der Wende war die Partei ja noch linker und hatte andere Ziele. Wählerschichten, die wir heute erreichen, hatte man gar nicht im Auge.

Zum Beispiel?

Konservative Leute aus dem Umfeld der Kirchen. Heute bilden den Mittelpunkt gutverdienende urbane Schichten. Diese Milieus gab es in Ostdeutschland nicht. Und die Milieus, die wir hatten und in denen wir uns hätten verankern können, haben wir verloren.

Welche Milieus genau meinen Sie?

In Westdeutschland gibt es die 68er, und im Osten gab es solche Leute auch. Die konnten nur nicht auf die Straße gehen, aber die hatten dieselben Träume und Wünsche. Die Friedensgruppen, der Umkreis evangelischer Gemeinden. Intellektuelle, Künstler, Leute, die studiert hatten und einen anderen Lebensstil wollten, selbst bestimmt leben wollen. Die nicht von der PDS bevormundet werden wollen.

Warum erreichen Sie diese Milieus nicht?

Ich höre in Sachsen immer wieder: Ist ja schade, dass Bündnis 90 jetzt so klein ist und die Grünen dominieren. Wir erwecken immer den Eindruck, wir sind eine Westpartei, und die anderen sind da angegliedert worden. Das hat nicht nur mit personeller Stärke zu tun, sondern auch mit Selbstdarstellung. Deshalb rege ich mich über das Logo auf! Ich möchte mir das Leben nicht noch schwerer machen, als ich es sowieso schon habe. Ich möchte nicht mit den Leuten darüber debattieren müssen, was noch sichtbar ist von der Wendegeschichte. Ich möchte über Klimapolitik reden, über Braunkohle, über Bildungspolitik. Dieses Fass hat man jetzt in Ostdeutschland wieder aufgemacht.

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN