Alte Führung weg, neue noch nicht da

MACHTÜBERGABE Beim Hamburger SV richtet sich der Blick im Moment ins ferne St. Petersburg: Ob der dortige Fußballclub den Wunsch-Verantwortlichen Dietmar Beiersdorfer freigibt?

Ein bisschen erinnert es an einen Staat, der die alte Regierung vom Hof gejagt, die neue aber noch nicht installiert hat. Mit großer Mehrheit beschloss die Mitgliederversammlung des Hamburger SV vor gut einer Woche die Gründung einer HSV Sport AG, die künftig den Geschäftsbereich Profifußball regeln soll. Die Eintragung der AG ins Handelsregister erfolgt erst am 1. Juli, sodass offiziell noch der alte Vorstand um Präsident Carl Jarchow und Sportchef Oliver Kreuzer die Geschäfte führt.

Gerade jetzt stehen aber wichtige Planungen und Verhandlungen an, um den überteuerten Kader zu verschlanken und zugleich wettbewerbsfähiger zu machen. Weshalb de facto schon der designierte AG-Aufsichtsrat das Zepter übernommen. Dessen künftiger Vizechef Thomas van Heesen guckt Kreuzer auf die Finger, während sich der designierte Aufsichtsratsboss Karl Gernandt persönlich um die Königspersonalie kümmert: Dietmar Beiersdorfer als Vorstandsvorsitzenden zu verpflichten.

Es war vor allem der Name „Beiersdorfer“, der nach der entscheidenden Abstimmung die Hoffnung nährte, die verfeindeten Lager könnten sich zusammenraufen: Der Ex-Sportchef, der den HSV zwischen 2002 und 2009 in die Halbfinals um DFB- und UEFA-Pokal sowie einmal in die Champions League führte, steht für die Synthese von Kommerz und Leidenschaft, von sportlicher und ökonomischer Kompetenz.

Gernandt hatte sich im Vorfeld der Mitgliederversammlung auf Beiersdorfer als seinen Wunschkandidaten festgelegt und unmittelbar nach dem Abstimmungssieg gesagt: „Er hat uns in die Hand versprochen, alles dafür zu tun, um in diesem Verein mitzuarbeiten.“ Obwohl sich Beiersdorfer noch nicht öffentlich geäußert hat, laufen Medienberichten zufolge die Bemühungen auf Hochtouren, ihn aus seinem bis 2015 laufenden Vertrag bei Zenit St. Petersburg herauszukaufen. Das nötige Geld will Gernandts Arbeitgeber, der milliardenschwere Logistikunternehmer Klaus-Michael Kühne, zur Verfügung stellen.

Scheitern die Verhandlungen mit Wladimir Putins Lieblingsklub, würde das der Hamburger Aufbruchsstimmung einen empfindlichen Dämpfer versetzen. Ein AG-Vorstand ohne Beiersdorfer würde als Übergangslösung wahrgenommen – zumal der als Vorstandsvize gehandelte Joachim Hilke als Teil der alten Führung ja für die Misswirtschaft mitverantwortlich ist.

Im Schatten der Sache Beiersdorfer ringen auch Carl Jarchow und Oliver Kreuzer, für die im neuen Vorstand kein Platz mehr ist, um ihre Zukunft. Kreuzer erklärte sich schon mit einer Degradierung zum Sportdirektor unterhalb der Vorstandsebene einverstanden. Jarchow betont stoisch, seinen bis 20015 laufenden Vertrag erfüllen zu wollen. Ein Nein aus St. Petersburg würde ihm eine Chance eröffnen.  RLO