„Zubehör und Hauptsache“

Die katholische Krippe wurde im Norden nie heimisch, der Weihnachtsbaum im Süden sehr wohl: Der Kunsthistoriker Torkild Hinrichsen über merkwürdige Requisitenwanderungen und Modefarben

INTERVIEW: PETRA SCHELLEN

taz: Herr Hinrichsen, den Weihnachtsbaum installiert man heute doch nur noch aus Image-Gründen. Ist er nicht unwichtiger als je zuvor?

Torkild Hinrichsen: Ja und nein. Dadurch, dass ihn jeder hat, ist er einerseits zum Zubehör geworden, das sich jeder erlauben kann, andererseits zur Hauptsache, der sich alles andere unterordnet. Das geht so weit, dass Weihnachtsbaum und Weihnachtsmann seit ein paar Jahren in Japan auftauchen und die japanische Tradition flach trommeln. Allerdings weiß man dort oft nicht, was der Baum bedeutet. Dieses Nichtwissen breitet sich derzeit auch in Europa aus.

Wer hat den Weihnachtsbaum eigentlich erfunden?

Es ging los um 1500 in den Handwerkerzünften in der Straßburger Gegend. Dann kam er an die Höfe – an die Schlösser des 18. Jahrhunderts. Im frühen 19. Jahrhundert hat den Weihnachtsbaum dann das Bürgertum entdeckt. Zu dessen neuer Innerlichkeit gehörte er natürlich dazu. Das Problem war allerdings, dass man Weihnachtsbäume in der erforderlichen Menge gar nicht bekommen konnte. Sie wurden nirgends angebaut, sondern mussten irgendwo geholt werden. Das führte dazu, dass ab 1840, als der Weihnachtsbaum populärer wurde, an den Stadttoren Hamburgs und Bremens etwa Kontrollen stattfanden, bei denen jeder nachweisen musste, wo er seinen Baum herhatte.

Wie hat man das nachgewiesen?

Was weiß ich? Mit einer Quittung vom Förster oder so etwas vermutlich. Zum Massenphänomen wurde der Baum allerdings erst durch den deutsch-französischen Krieg von 1870/71. In den Lazaretten – etwa im Versailler Schloss – standen damals öffentliche Weihnachtsbäume. Die gefielen den Deutschen, sodass sie den Brauch mit nach Hause nahmen. Bald darauf begann man in Gebirgsgegenden – etwa in Thüringen – mit der systematischen Aufzucht. Und konnte, auch aufgrund des sich verbessernden Eisenbahnnetzes, Kunden in den Großstädten zügig beliefern. Die Entwicklung des Eisenbahnverkehrs in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat die Verbreitung des Weihnachtsbaums sozusagen demokratisiert.

Wozu diente der Baum ursprünglich?

Beim Jahresendfest der erwähnten Handwerkerzünfte des 16. Jahrhunderts wurde der Baum mit Zuckerwerk, Nüssen und Mandeln behängt. Die Kinder durften ihn dann plündern. Es war also ein Gabenbaum. Die Behängung mit Kugeln und anderem Kram begann ab 1870, und zwar ausgehend von Thüringen. Dort entwickelte sich auch die Weihnachtsbaum-Zubehörindustrie.

Apropos: Wer diktiert die Weihnachtsbaumschmuck-Mode?

Die Textil- und Modebranche. Vor ein paar Jahren war Lila dran, jetzt ist es Schwarz. Die Tendenzen der Kleidermode schwappen auf den Weihnachtsbaum über.

Wie standen die Kirchen eigentlich ursprünglich zum Weihnachtsbaum?

Die Kirche hatte bis 1830/40 große Schwierigkeiten, den Baum anzuerkennen. Sie mutmaßten Heidentum. In Kirchenräumen wurde der Baum daher erst im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts aufgestellt. Zunächst übrigens nur in Norddeutschland. In Süddeutschland hat sich der Baum viel später durchgesetzt, weil es dort ein Konkurrenzrequisit gab – die Krippe. Während sich der Baum also von Nord nach Süd verbreitete, hat die Krippe vergebens versucht, nach Norden vorzudringen. Denn richtig heimisch ist sie hier nie geworden.

Ranken sich irgendwelche Mythen um den Weihnachtsbaum?

Mythen weniger. Wohl aber haben sich die Märchendichter damit befasst. Hans Christian Andersen hat sich zum Beispiel sehr um den Baum gekümmert. Er hat diverse Geschichten geschrieben, und zwar zu dem Zeitpunkt, als deutsche Familien, die in Kopenhagen lebten, den Baum dort einführten. Das war um 1808, und die Schlösser drumherum übernahmen den Baum dann sehr schnell.

Wo liegen inzwischen die Hauptanbaugebiete für Weihnachtsbäume?

In Dänemark. Dort gibt es Monokulturen, wobei die Tanne inzwischen längst von den haltbareren Fichten abgelöst wurde. Und die von den Grünen propagierte Geschichte, man würde den Wald dabei umlegen, ist völliger Quatsch. Weihnachtsbäume werden dort angebaut wie Kartoffeln. Wobei das ökologische Bewusstsein in Dänemark so weit geht, dass man das Unkraut nicht spritzt, sondern von Tieren hacken lässt. Von Emus etwa, die zwischen den Bäumen herumspazieren.