Der fehlerlose Weihnachtsbaum
: Der Bürger-Baum

Glaubt man den Trendforschern, in diesem Falle dem Hamburger Peter Wippermann, ist der diesjährige Weihnachtsbaum „Symbol der neuen Bürgerlichkeit in Deutschland“. Das Bürgerliche liegt dabei weniger im als auf dem Baum, nämlich im Schmuck, der nun opulent-viktorianisch oder traditionell daherkomme, nicht aber mehr als bunter Kitsch nach amerikanischem Vorbild. So sagt es Herr Wippermann und im ersten Moment erscheint es ein wenig dünn, die neue Bürgerlichkeit an bunten oder weniger bunten Weihnachtskugeln festzumachen. Aber dann erinnert man sich daran, dass diejenigen, die die neue Bürgerlichkeit ausrufen, in der Regel über Menschen sprechen, die ihre Kinder Wilhelm oder Luise nennen und über ein gehobenes Einkommen verfügen und über wenig Zweifel. Es scheint ein bisschen zu dürftig, um daraus etwas zusammenzuschustern, was den Begriff Bürger verdient. Es sei denn, man hielte es ähnlich hoch wie den Titel Boxenluder.

Wenn man Peter Wippermann dazu befragt, so schreibt er, dass das bürgerliche Weihnachtsfest eine Erfindung des Deutschen Biedermeiers gewesen sei und schon immer die Flucht in eine heile Traumwelt. Er schreibt, dass inzwischen 63 Prozent aller Deutschen sagten, dass früher alles besser gewesen sei. An dieser Stelle hält man kurz inne und fragt sich, ob die Antworten von Umfragen naturgemäß so schlicht sind wie die Fragen, die ihnen gestellt werden. Aber dann ist Peter Wippermann schon bei der Feststellung, dass ein Familienfest wie Weihnachten gerade in Zeiten schwindender Familien an Bedeutung gewinne: „Alles was verschwindet, steigt im Wert.“

Das ist eine interessante These, aber sie stimmt nur so halb, zumindest ist der Wert, den das Schwindende erhält, nicht so groß, als dass es den Prozess aufhalten könnte. Es ist also bloße Sentimentalität, aber dem würde Herr Wippermann wohl zustimmen, schließlich nennt er das neu-bürgerliche Weihnachtsfest „Wellness fürs Gemüt“. Dazu gehören dann die historisierenden Weihnachtsmärkte und der Wiederaufstieg der Weihnachtsengel, zumindest bei jenen, die es sich leisten können, schreibt Wippermann. „Es sich zu Hause gemütlich machen, gilt für alle, die zu den Siegern zählen.“

Auch das klingt einleuchtend: die soziale Schere, die auch Weihnachten weiter aufgeht als bislang. Aber vielleicht ist auch gerade das Fatale der Trendforscher, dass alles immer so gut ins Bild passt, dass man gar nicht mehr weiß, was zuerst da war: die These oder der empirische Befund. Wenn man mit Bernd Oelkers spricht, dem Vorsitzenden des Verbandes der Weihnachtsbaum- und Schnittgrünerzeuger in Niedersachsen, Hamburg und Bremen, hört man im Hintergrund etwas, das klingt wie ein Traktor, weil Oelkers gerade auf seinem Hof, die Weihnachtsbäume zum Weiterverkauf bereitstellt. Er weiß, wie seine Kunden aussehen, schließlich verkauft er selbst alljährlich auch direkt an sie. Und er glaubt nicht an die Rechnung: Arm gleich unaufwändiges Fest und Reich gleich aufwändiges Fest. „Ich möchte diese Anmaßung nicht geben“, sagt er und im ersten Moment denkt man, dass er vielleicht „Einschätzung“ sagen wollte. Wollte er aber nicht. „Auch Leute, die aussehen, als ob sie rechnen müssten“, sagt Oelkers, „suchen sich einen Spitzenbaum aus.“

Dabei ist der Weihnachtsbaumerzeuger durchaus empfänglich für den Gedanken des „Früher war es besser“, den er allerdings nicht wirklich formuliert. Er beschreibt nur, wie die Leute „immer mehr Wert auf Qualität“ legten, wie sie auf dem Markt diskutierten „wie zum heißen Kampf“. Der Markt ist willig, dem Wunsch nach dem perfekten Weihnachtsbaum zu entsprechen, er bietet die gerade wachsende Nordmanntanne an, die die nicht ganz so gerade Rot- und Blaufichte abgelöst hat. Die Züchter unterbrechen zehn Tage lang den Saftstrom in der Tanne, um den „Terminaltrieb zu reduzieren“, so dass die Zweige dichter wachsen. Bernd Oelkers sagt, dass er selbst „Mängel in Kauf“ nehmen würde bei seinem Weihnachtsbaum, wobei die Mängel genau genommen keine sind, sondern natürlicher Wuchs. Er erzählt, dass die städtischen Weihnachtsbaummärkte immer schlechter besucht seien, weil die Leute keine Lust mehr hätten, ihren Baum durch die Stadt zu tragen und es klingt so, als fände er das sonderbar.FRIEDERIKE GRÄFF