Forensik statt Freiheit

RECHT Im Klinikum Bremen-Ost ist ein Betrüger womöglich auf Dauer weggesperrt, obwohl er nach deutschem Recht im Grunde kein Fall für die geschlossene Anstalt ist

Bei der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) werden Menschen auch nach Verbüßung der Strafe nicht aus der Haft entlassen. Sie bleiben vorsorglich weggesperrt, bis sie nicht mehr als gefährlich gelten. Davon zu unterscheiden ist die „Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus“ (§ 63 StGB), die verminderte Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit voraussetzt.

■ Seit 1998 stieg die Zahl der Sicherungsverwahrten um mehr als 160 Prozent auf heute über 520 Personen an.

■ Der Bundestag hat jetzt eine Reform beschlossen. Reine Eigentums- und Vermögensdelikte sollen künftig nicht mehr zu Sicherungsverwahrung führen. Mehr als bisher soll die Maßnahme auf Gewalt- und Sexualtäter konzentriert werden. Früher war Sicherungsverwahrung gegen Seriendiebe und -betrüger üblich. Zuletzt saßen noch sieben Prozent der Betroffenen wegen gewaltloser Eigentums- und Vermögensdelikte in der Verwahrung.

■ Die 2004 bundesweit eingeführte nachträgliche Sicherungsverwahrung wird abgeschafft. Das heißt aber nicht, dass die durch sie Einsitzenden jetzt entlassen werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erklärte 2009 die 1998 beschlossene rückwirkende Verlängerung der Sicherheitsverwahrung für unzulässig.

■ Eingeführt haben die Sicherungsverwahrung die Nazis 1933 – für „gefährliche Gewohnheitsverbrecher“. (taz)

VON JAN ZIER

Andreas P. ist einer, den sie vorsorglich mal weggesperrt haben. In die geschlossene Anstalt. Dort sitzt er jetzt, im Klinikum Bremen-Ost. Womöglich: auf Dauer. Dabei könnte er heute ein freier Mensch sein – wäre er damals, 2005, hier in Deutschland und eben nicht in Österreich verurteilt worden.

Zu fünf Jahren haben sie ihn beim Landgericht in Krems an der Donau verurteilt, wegen Betruges. Das war 2005. Zwar haben sie ihm damals eine „mindere geistige Störung“ attestiert, sogar eine „schwere Abweichung von der Norm“. Ihn aber – und darauf kommt es an dieser Stelle an – gleichwohl für voll schuldfähig befunden. Nach deutschem Recht wäre der heute 50-jährige Deutsche damit ein Fall für den regulären Knast. Und müsste also wieder in die Freiheit entlassen werden, sobald die Strafe bis zum Ende abgesessen ist. „Hier wäre er nie in die Forensik gekommen“, sagt auch sein heutiger Therapeut am Klinikum Bremen-Ost.

In Österreich indes erlaubt es das Strafgesetzbuch, Menschen wie Herrn P. in „eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher“ einzuweisen, wie es im besten Nazi-Jargon noch heißt. Und zwar dann, wenn zu befürchten ist, dass sie „unter dem Einfluss ihrer geistigen oder seelischen Abartigkeit“ wieder straffällig werden. Und schließlich, dass sagt auch P. selbst, ist er in seinem Leben immer wieder mal durch Betrügereien aufgefallen. „Ein paar Millionen“, behauptet er, seien schon dabei rumgekommen, und auch „ein paar Immobilien im Ausland“. Er übertreibt vielleicht, sagt sein Anwalt Sven Sommerfeldt. Unschuldig ist er sicherlich nicht. Und 1991 wurde er mal, in Bremen, wegen Vergewaltigung verurteilt, bekam viereinhalb Jahre dafür, die er auch abgesessen hat. Im Knast. Aber ist er ein Fall für die Forensik?

„Er wird sich nicht mehr ändern“, sagte der Gutachter 2005 beim Kremser Landgericht. Und weiter: Eine Therapie würde bei Herrn P. keinen Erfolg haben. „Fast sicher zu erwarten“ sei, dass P. wieder als Betrüger auffallen würde. Von Gewaltdelikten sprach er jedoch nicht. Abschließend stellte er gleichwohl fest: Der P. gehöre „dorthin“ – in die geschlossene Anstalt.

Dorthin, das ist mittlerweile das Klinikum Bremen-Ost. Denn bevor P. sich, wie er sagt, in Österreich ein Haus bauen und neu etablieren wollte, bevor sie ihn dort verhaftet und vor Gericht gestellt haben, davor also lebte er lange Jahre in Bremen, zuletzt in Scheidung. Also hat er mit anwaltlicher Hilfe seine Überstellung nach Deutschland betrieben, wohl in der Hoffnung, hier früher oder später frei zu kommen.

Denn in Bremen ist er nicht etwa sicherungsverwahrt, sondern in einem psychiatrischen Krankenhaus „untergebracht“. Rein juristisch ist das ein wichtiger Unterschied: Denn so eine „Unterbringung“ kommt laut Gesetz nur für jene in Frage, die schuldunfähig, zumindest aber „vermindert schuldfähig“ sind. Genau das aber, das sagen alle Gutachter, ist Herr P. nicht. „Ich finde keinen Grund, zusagen, er könne nichts dafür“, sagte etwa der Sachverständige damals vor dem Landgericht in Krems. Auch wenn er ihm attestierte, „innerlich angetrieben“ zu sein, wie man es etwa bei Manikern finde, zugleich von „vermehrter Egozentrizität“ gekennzeichnet. Herr P. sei einer jener Menschen, die „leichter explodieren“. Sicher aber sei er„nicht geisteskrank“. Herr P., sagte der Gutachter, ist einer, der weiß, was er tut. Sein heutiger Therapeut am Klinikum Bremen-Ost beschreibt seinen Patienten P. zwar als „starrsinnig und dickköpfig“, zudem sei er „impulsiv“, etwas cholerisch und „ungeduldig ohne Ende“. Ja, er habe auch eine Persönlichkeitsstörung – „aber das allein reicht nicht aus, um untergebracht zu werden“.

Also doch kein Fall für die Forensik? Ein Staat, der sich vorbehält, Menschen vorsorglich wegzuschließen, ihnen die Freiheit dauerhaft zu entziehen, muss vorher alles versuchen, genau dies zu verhindern. „Die wollen mich hier loshaben“, sagt P. über seine Klinik. Man würde es begrüßen, wenn er die Klinik verlassen könnte, sagt diese, etwas vorsichtiger. Man begrüße auch, dass der Fall jetzt juristisch geklärt werde.

Allerdings hat das Landgericht Bremen gerade eben beschlossen, die Unterbringung des Andreas P. weiterhin aufrecht zu erhalten. Was vor fünf Jahren vom Landgericht Bremen für okay befunden worden sei, so der Tenor des Beschlusses, sei jetzt nicht zu beanstanden, zumal die Entscheidung damals nicht angefochten worden sei. „Was damals falsch war, ist heute immer noch falsch“, sagt Anwalt Sven Sommerfeldt, der jetzt Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt hat. Die Aussichten schätzt er als „gut“ ein.

Wirklich therapiert werde P. im Klinikum Bremen-Ost nicht, sagt sein Anwalt. Sondern nur „verwahrt“. Die Klinik widerspricht. Doch Herr P. kostet: Ein Patientenjahr in der Forensik schlägt bei einem Tagessatz von 280 Euro mit rund 100.000 Euro zu Buche, ein Aufenthalt im regulären Gefängnis ist da bald drei Mal billiger. Doch bislang sieht es eher so aus, als müsste Herr P. weiter in der Forensik sitzen. „Ich sitze hier fest“, sagt erselbst. Und dass er „im Leben nie was mit der Klapsmühle zu tun gehabt habe“. Ja, er habe eine „Störung“, aber so ausgeprägt sei die nicht.

Dem Landgericht Bremen wirft er „schwere Rechtsbeugung“ vor. Für ihn ist das alles ein ganzes „linkes Ding der deutschen Justiz“, wie überhaupt vieles in seinem Leben. Und er hat das alles auch länglich aufgeschrieben, in einer bislang zweiteiligen Biographie, die bei „Books on Demand“ auf Nachfrage zu haben ist und deren erster Teil „Abrechnung“ heißt. Tenor: „Ich bin unschuldig. Ich habe nicht selbst verursacht und geschaffen, was aus mir geworden ist“. Mit „Plan und Absicht“ habe man aus ihm ein „Monster“ gemacht. Dann ist von der Stasi die Rede, für die er schon als Kind gearbeitet haben will, vom westdeutschen Verfassungsschutz, anderen Sicherheitsbehörden, von schwerer Kindheit, von Alkoholexzessen. Im zweiten Teil schreibt er: „Man hat mir den totalen Krieg, die totale Zerstörung erklärt.“ Der Rest wird auf 250 weiteren Seiten erzählt, so atemlos, dass kein einziger Absatz sie unterbricht. Von Eigenverantwortung ist selten die Rede. Aber es könnte gut sein, dass noch ein drittes Buch erscheint.