Eine Stadt rappelt sich auf

Der Aufschwung in Deutschland nutzt auch Berlins Wirtschaft. Forscher und Senatsverwaltung sehen für 2007 stabiles Wachstum und weniger Arbeitslose voraus. Schon heute fehlen Fachkräfte

VON MATTHIAS LOHRE

Berliner sind schlechte Nachrichten derart gewöhnt, dass sie gute fast überhören. Eine überbrachte gestern Christian Dreger vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Für das laufende Jahr sieht Dreger ein Wirtschaftswachstum in der Hauptstadt von 0,8 Prozent voraus. Und trotz der Mehrwertsteuererhöhung zu Jahresbeginn prognostiziert der stellvertretende Leiter der DIW-Konjunkturabteilung für 2007 immerhin ein Wachstum von 0,3 Prozent. Das klingt nicht nach viel. Doch für die arme Hauptstadt künden diese Zahlen von einem kleinen Wirtschaftswunder.

„Berlin hat der Wirtschaftsentwicklung im Bund seit einem Jahrzehnt hinterhergehinkt“, sagt Dreger. Das ist noch zwar noch immer so. „Aber Berlin hat aufgeholt.“ In den 90er-Jahren schrumpfte die hiesige Wirtschaftsleistung. Selbst als die deutsche Wirtschaft im Boomjahr 2000 um 3,1 Prozent wuchs, kam Berlin lediglich auf 1,0 Prozent. Für 2007 sieht die OECD in Deutschland 1,75 Prozent Wachstum voraus.

Die für die Ex-Frontstadt prognostizierten 0,3 Prozent sehen gleich besser aus, weiß man um die besondere Entwicklung der hiesigen Wirtschaft. Teilung und Zusammenbruch großer Teile der Wirtschaftsunternehmen nach der Wende haben Berlin zu einer fast industrielosen Stadt gemacht. Doch gerade die produzierende Industrie blickt derzeit zuversichtlich in die Zukunft; sie investiert in neue Maschinen und andere Güter. Dass Berlin trotzdem vom Aufschwung profitiert, liegt vor allem an der guten Entwicklung in den Bereichen Verkehr, Industrie, Tourismus und im Einzelhandel. „Für Berlin ist in diesem Jahr ein besonders gutes Weihnachtsgeschäft zu erwarten, das durch die weitgehende Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten noch begünstigt wird.“

Auch die Bürger werden laut DIW vom Aufschwung profitieren: „2007 wird die Berliner Arbeitslosenquote weiter sinken“, prognostiziert Dreger. Im November lag sie bei 16,1 Prozent – 1,7 Prozentpunkte niedriger als ein Jahr zuvor. Auf genaue Zahlen fürs kommende Jahr will sich der Wirtschaftsforscher aber nicht festlegen.

Das liegt auch an politischen Unwägbarkeiten: „Wir gehen in unseren Berechnungen vom derzeitigen Konsolidierungskurs des Senats aus“, erklärt Dreger. Zwar findet der DIW-Mann lobende Worte für den rot-roten Sparkurs, doch warnt er: „Die Haushaltssituation kann die Koalition so nicht weiterlaufen lassen.“ Der neue SPD-PDS-Koalitionsvertrag sieht keine Verringerung des 61 Milliarden Euro großen Schuldenbergs vor. Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hingegen will in den Bezirksverwaltungen Stellen kürzen, um Geld zu sparen. Bei der Opposition erntet er dafür Lob, bei den gereizten Koalitionären Kritik.

Noch zuversichtlicher als das DIW blickt Wirtschaftsstaatssekretär Volkmar Strauch (SPD) in die Zukunft. Zwar gesteht er ein, dass sich der Abstand zwischen Bundes- und Landestrend noch schneller verringern müsste. Doch er geht von einem noch stärkeren Wirtschaftswachstum im kommenden Jahr aus: „Die gängigen Wirtschaftsprognosen berücksichtigen den für Berlin wichtigen Dienstleistungsbereich zu wenig“, kritisiert Strauch. Die Hauptstadt könne bei Prognosen noch besser abschneiden. Auch er geht von einer sinkenden Arbeitslosenquote aus: „Ein gutes Indiz sind die Zeitarbeitsfirmen. Die können derzeit die Nachfrage nach Arbeitskräften, insbesondere Ingenieuren, kaum befriedigen.“ Eine Hauptaufgabe Berlins ist für Strauch deshalb: „Qualifizieren, qualifizieren, qualifizieren.“