Ein Fetisch ist kein Drehtisch

FIL Kann man mit Witzen über Schwaben, Mutti Macchiato und ihre Kinder aus Prenzlauer Berg noch was reißen? In seiner neuen Show „Tauben – Delfine der Lüfte“ im Babylon in Mitte geht Fil dieser Frage nach

Am besten ist Fil dann doch, wenn er zur Gitarre greift und souverän verschiedene Genres veräppelt

VON TOMMI WINKLER

Der scheue Fil hatte zur nachweihnachtlichen Belustigung geladen. Von nah und fern waren sie ins Kino Babylon in Mitte gekommen. Okay, mehrheitlich offensichtlich eher von nah, aus Prenzlauer Berg. Zu hören war das deutlich, wenn der diesmal mit Indianer-Perücke, Korsett und Strapsen als „Country-und-Western-Porno-Dienstmädchen“ verkleidete Comiczeichner und Comedian mal wieder einen Witz riss über die schwäbischen Eltern, die den benachbarten Bezirk übernommen haben. Das Lachen, das dann aus Hunderten Kehlen aufstieg, war getränkt mit Wiedererkennen. Aber auf diesem Lachen lag schwer wie Milchschaum auch eine gehörige Portion selbstironischer Eigenerkenntnis.

„Mutti Macchiato und Ciapappa“ sind es, die sich wie ein zumindest rosaroter Faden durch das aktuelle Programm „Tauben – Delfine der Lüfte“ ziehen. Nicht, dass Fil ein übergreifendes Thema nötig hätte. Die titelgebenden Tauben und Delfine werden kein einziges Mal an diesem nahezu drei Stunden währenden Abends erwähnt, auch der Hai Sharkey fehlt diesmal. Dafür stattdessen Milchschaum und Manufactum, Serrano-Schinken, natürlich die Gentrifizierung und schließlich, als Höhepunkt, der Song mit dem so ausufernden Titel: „Die kleine schwäbische Werbeagentur in der Choriner Straße gibt es nicht mehr“. Auch die sehr privaten Erfahrungen als Vater eines Trennungskindes fließen ein. Der Sarkasmus ist unüberhörbar. Schließlich lebt Fil unter seinem bürgerlichen Namen Phil Tägert selbst seit einigen Jahren in Prenzlauer Berg und versucht dort, seine beiden Kinder großzuziehen.

Aber der Künstler weiß es selbst: Die Witze über die Prenzlberg-Papas und -Mamas sind mittlerweile ein wenig wohlfeil geworden. Er selbst hat mit „Mein Kind ist besser als Dein Kind“ einen der Klassiker zum Thema beigetragen, das nun sogar schon in einem Musical verarbeitet worden ist. Aber der Song kommt nicht zum Vortrag, obwohl er sich perfekt ins Programm geschmiegt hätte wie ein Schuss gutes Olivenöl in die Sugo. Dafür aber, verspricht Fil schon früh, „kommen noch ganz viele Ciabatta-Witze, aber klar, ich weiß doch, was geht“. Er sucht den Ausweg also, indem er die eigenen Techniken entlarvt, eine Meta-Ebene einzieht, in der der Umgang des Komikers mit seinem Material selbst zum Thema wird.

Dem Publikum ist es egal

Das ist ein Verfahren, mit dem Fil die Untiefen seines eigenen Humors auslotet. Besonders schiefe Reime werden mit einem entschuldigenden Achselzucken angekündigt, der Spruch „Das sind so Tricks“ immer mal eingefügt. Schließlich imitiert Fil sogar einen seiner Leser, blättert in einem seiner eigenen Comics und zitiert zusammenhanglos die Lautmalereien aus den eigenen Sprechblasen.

Dem Publikum scheint diese Absicherung des Schaffens weitgehend wurscht zu sein. Begeistert nimmt es immer noch einen Schwaben-Scherz auf, die auch im zweiten Teil nach der Pause, zu dem Fil dann wieder in grauem T-Shirt und verwaschener Jeans als er selbst erscheint, kaum weniger werden. Es freut sich über die absichtlich besinnungslosen Reime („Ein Fetisch ist kein Drehtisch“) oder das Roman-Fragment, in dem jedes Wort mit einem „W“ beginnt, aber vor allem über die mäandernden Monologe über möglichst abseitige Themen wie die von der Abwesenheit des Internets verursachte sexuelle Konnotation von Speiseeis-Produktnamen in den achtziger Jahren.

In diesen nur scheinbar improvisierten, filigran konstruierten Verbalausbrüchen haben dann Daniel Brühl und Quentin Tarantino, Peaches, Die Ärzte und Jochen Distelmeyer, von und zu Guttenberg sowie „Gott, der alte Scherzkeks“ Kurzauftritte. Dazu schlüpft Fil in immer wieder neue Rollen, die mitunter übergangslos ineinander übergreifen, vom heimlich Speiseeis schlürfenden Punkrocker, der er in seiner eigenen Jugend war, über das Internet erfindende Computer-Nerds aus Princeton und mit gefährlichem Halbwissen gesegnete Esoteriker bis zum zu philosophischen Ausbrüchen neigenden Kioskbesitzer.

Die Musik kommt in diesem erstaunlich wohl strukturierten Wirrwarr leider ein wenig zu kurz. Am besten ist Fil dann doch, wenn er zur Gitarre greift und souverän mit einfachen Mitteln verschiedene Genres veräppelt, wenn er den verzweifelt leidenden Liedermacher mit Reinhard-Mey-Timbre gibt, den heiligen Ernst der Hamburger Schule nachstellt oder, als Abschluss der Zugaben, im alten Hit „Rock ’n’ Roll“ Herbert Grönemeyer parodiert.

Zum Abschluss des Abends lüftet er einmal kurz die Basecap und eine fein säuberlich rasierte Glatze kommt zum Vorschein. Der scheue Fil hat sich, stellvertretend für sein Publikum, mal wieder nackig gemacht.

■ Weitere Termine: 30. 12. „Tauben – Delfine der Lüfte“, 31. 12. + 2. 1. „Die Sharkey Show“, jeweils 20 Uhr im Kino Babylon