LESERINNENBRIEFE
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Menschenverachtende Denkweise

■ betr.: „Schmarotzen auf Deutsch“, taz vom 31. 5./1. 6. 14

Deutschlands Front National hat offensichtlich schon längst die Parteien der „bürgerlichen Mitte“ erobert und ist dabei, sogar die Linke zu unterwandern. Aus Dominique Johns Beitrag wird deutlich, wie diese „Front National“ die Menschen bösartig durch Politik und Presse verblödet. Hier wird immer wieder ein neuer Popanz aufgebaut, der schuld an allem Übel ist. Im Bereich Schmarotzer kann man als DeutscheR die Juden nicht mehr benutzen, dann nimmt man heute halt die Rumänen, Flüchtlinge, oder sogar alle Hartz-IV-Empfänger – Hauptsache, sie können sich nicht wehren und haben keine Lobby. Und diese menschenverachtende, rassistische Denkweise wird nicht von einem dumpfen Pöbel verbreitet, sondern von unseren Regierungsparteien. Der Beitrag zum Sozialmissbrauch durch Unternehmen – und zum Missbrauch hilfloser Menschen als Sündenböcke – sollte eine Woche lang täglich auf Seite 1 erscheinen, vielleicht wacht dann der eine oder andere auf. JOHANNES ORTLEPP, Konstanz

Kommodifizierung von Bildung

■ betr.: „Konkurrenz ist nicht schädlich“, taz vom 28./29. 5. 14

Auch im aktuellen Interview mit dem Koordinator der Pisa-Studien wird es am Beispiel Frankreichs wieder einmal bemüht: das Diktum der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Der permanente Verweis auf Gefahren beziehungsweise die verschärfte Wettbewerbssituation durch die rasche Entwicklung von Globalisierung und Technologisierung soll die Notwendigkeit von Pisa- oder (Bildungs-)Reformen begründen und dient gleichzeitig als Ablenkung von ihrer Interessengeleitetheit. Dabei kann Pisa durchaus als Bestandteil eines umfassenderen internationalen Prozesses der Ökonomisierung der Bildung (Verbetriebswirtschaftlichung, Funktionalisierung und Kommodifizierung) verstanden werden.

Pisa stellt nicht nur eine dynamische Form der Qualitätsmessung dar, die einen permanenten Zwang zur Leistungssteigerung zum Effekt hat, sondern lässt sich mit Foucault darüber hinausgehend als Steuerungsinstrument lesen, das normierende und normalisierende Praktiken etabliert wie Standards setzt, die es zu erreichen gilt. Standards sind Instrumente zur totalisierenden Individualisierung der Subjekte. In ihren normativen Vorgaben manifestieren sich interessengeleitete Forderungen, die für alle verbindlich gelten, jedoch – die Unterschiede der Edukanten berücksichtigend – auf individuelle Art und Weise erlernt werden sollen. Standardtests wie Pisa, als empirische Überprüfung, dienen letztlich der Steuerung und Kontrolle von Edukant wie Institution. Für die Schule heißt das: Anstelle expliziter Steuerungsformen tritt ein „sanfteres“ Anreiz-Kontrolle-System, das der Herausbildung des „unternehmerischen Selbst“ dient. Es soll ein Möglichkeitsraum geschaffen werden, der zu selbstständiger und eigenverantwortlicher Leistung anstachelt und diese ebenso kontrolliert oder begrenzt. Angestrebt ist die freiwillige Selbstunterwerfung der Subjekte unter das ökonomische Tribunal. Der Selbstunternehmer, soll mittels permanenter Überwachung dahingehend geführt werden, dass er will, was er wollen soll: Selbstständigkeit – jedoch nur in Abhängigkeit (vom Markt). JOHANNES HUDELMAIER, Tübingen

Büßen müssen es die Biobauern

■ betr.: „Ein mutiger Schritt“, Leserbrief vom 23. 5. 14

Die EU-Bio-Verordnung muss weiterentwickelt werden und bedarf im Zuge der Globalisierung des Biobusiness noch weiterer Verbesserungen. Bei der nun geplanten Totalrevision gibt es einen zwiespältigen Punkt: die Abkehr von der Prozessorientierung hin zur Produktorientierung. Aus Sicht der VerbraucherInnen, wie Thomas Warnken schreibt, ist es verständlich, dass die Produkte möglichst schadstoffarm sein müssen, also nur noch das Endprodukt analysiert wird. Was natürlich auch eine egozentrische Komponente hat – denn langfristiges Ziel des verantwortungsvollen Bioanbaus ist eine Verringerung des Raubbaus durch kurzfristig orientiertes Gewinnstreben von Landwirtschafts-/chemischer/ Saatgutindustrie.

Aus Sicht der anderen Seite, der Bauern, vor allem der Hunderttausenden Biokleinbauern aus Nicht-EU-Ländern, stellt sich das jedoch anders dar: Bisher wurden die Bauern vom Säen bis zur Verarbeitung und Vermarktung von ihrer Dachorganisation und ihrer Kontrollstelle begleitet. Läuft der Prozess gut, findet auch Beratung, Austausch zwischen Projekten und echte ökologische Innovation statt – neue Kompost- oder Schädlingsbekämpfungsmethoden, Erhalt der alten Saatgutschätze etc. Alles dringend notwendige Voraussetzungen, um die Ökologie und Vielfalt unseres Planeten zu bewahren.

In der Realität können selbst bei guter Praxis im kontrolliert biologischen Anbau die Produkte in geringem Maße den neu geplanten Biogrenzwert überschreiten. Der Eintrag stammt aber von der (Gentechnik-)Agrarindustrie – erst vor Kurzem ist die globale Durchseuchung, sogar des menschlichen Blutes mit Glyphosat bekannt geworden. Zudem ist die Analytik nicht immer so genau und sicher, wie es der restriktive Grenzwert von 0,01mg/kg vorgibt.

In Zukunft würde dann bei Bio die Prozessorientierung wegfallen, und damit würde der ökologische Landbau vor allem für Klein- und mittelständische Bauern zu riskant, da die Analytik entscheidet, was Bio ist. Es gibt hierbei zwei Skandale: 1. der Betrug mit konventionellen Lebensmitteln, die als Bio deklariert werden, würde einfacher weiterlaufen, da bei günstigen Umständen die neuen Grenzwerte für Bio eingehalten werden könnten. 2. Die Agroindustrie trägt in Zeiten von Biosprit, Gentechnik und Klimawandel immer aggressiver Gifte in Böden und Grundwasser ein – büßen müssen es die Biobauern. Das wichtigste Ziel bei Bio ist aber immer noch, die Umwelt gesund zu erhalten. URSULA STÜBNER, HEINZ GASPER, Köln