JÖRN KABISCH über DAS GERICHT
: Führerwein und Mehlschwitze

Die Deutschen entdecken die gutbürgerliche Küche wieder. Nur der Saumagen bleibt vergessen. Friede seiner Seele!

Es gibt da eine neue Zitruspresse, die könnte es dieses Weihnachten zum Verkaufsschlager bringen. Es heißt, der Hersteller habe Lieferengpässe. Aus küchentechnischer Sicht ist die Presse aus Giesharz wahrscheinlich nur Mittelmaß, aber wen stört das schon, wenn er seine kleine Rache an der Kanzlerin nehmen kann und es dafür etwas länger dauert, bis die halbe Zitrone auf dem Kopf von Angela Merkel ausgepresst ist. Genau, die Spitze der Presse ist dem Kanzlerinnenhaupt nachempfunden, das säuerliche Lächeln inklusive. Artikelbezeichnung: ANGIE.

Längst vorbei die Zeiten, da Spitzenpolitiker oder Edelprominenz mit ihren Namen für so Erlesenes wie Champagner, Schnaps oder Pralinen Pate stehen konnten. Nur ein Fürst von Metternich perlt, ein Bismarck brennt am Gaumen und ein Mozart zergeht auf der Zunge. Mit neuzeitlichen Größen dagegen ist guter Geschmack offenbar kaum zu verführen, einmal abgesehen vielleicht von Paul Newman, der sein Konterfei seit Jahren für organische Dressings und Saucen der Marke „Newman’s Own“ zur Verfügung stellt. Und die Winzer, die vor Jahren versuchten, ihre Panschereien mit der Visage des Duce an italienischen Autobahnraststätten zu verkaufen, hatten es eher auf die Nische der Geschmacksverirrten abgesehen. Es würde nicht wundern, wenn es jene gewesen wären, die einige Zeit später versuchten, genauso geschmacklos für „Prosecco de el Che“ Abnehmer zu finden.

Nein: Der politische und der kulinarische Kosmos vertragen sich kaum. Die CDU verteilt im Wahlkampf zwar noch manchmal blau eingepackte Bonbons, die SPD rote – und beim Auspacken stellt sich unweigerlich die Frage, ob die Drops wohl nach Hartz schmecken. Doch es sind Allerweltssüßigkeiten mit Himbeer- oder Apfelgeschmack und nicht mal richtig sauer.

Befinden wir uns beim leiblichen Genuss also tatsächlich im politikfreien Raum, wenn dort schon die Politiker abgehen? Könnte man meinen. Stimmt aber nicht. Nicht mal ein halbes Jahr nach dem schwarz-rot-goldenen Fußballsommer ist gerade die Rückkehr der bürgerlich-deutschen Küche zu beobachten. Mit der neuen Unverkrampftheit klemmt der deutsche Wimpel nun nicht mehr an den Autofenstern, sondern an den Dunstabzugshauben. Großmutters dunkle, herzhafte Mehlschwitze feiert ihr Comeback, leichte, mit Butter montierte Saucen sind passé, und die Zeitschriften beeilen sich bereits, den Deutschen wieder für weihnachtlichen Gänsebraten den Mund wässrig zu machen. Das SZ-Magazin ist zuletzt sogar auf archäologische Spurensuche gegangen, um unsere vergessene Küchenhistorie wieder fruchtbar zu machen: Königsberger Klopse, Finkenwerder Scholle, Hasenpfeffer. Als ob die Deutschen auf dem Weg wären, bald lieber wieder Kartoffeln mit Stippe zu essen als Spaghetti mit Pesto. Noch lässt sich der Trend gelassen sehen, als überfällige Korrektur in einem Land, das bislang immer größere Anstrengungen unternommen hat, Küchen aus dem Ausland perfekt zu imitieren, als die Menschen zu integrieren, die sie von dort mitgebracht haben.

Denn was bei der ganzen gutbürgerlichen Renaissance fehlt, sind die eindeutig von der Politik belegten Gerichte. Die Trennung ist strikt. Auch die kulinarischen Erbforscher des SZ-Magazins lassen es dabei bewenden, dass etwa der Pfälzer Saumagen – eigentlich ein viel appetitlicheres Gericht, als der Name signalisiert – auf ewig als Garnitur den Namen Helmut Kohls tragen – und vergessen bleiben wird. Über das traurige Schicksal der Schröderschen Currywurst gar nicht zu reden. Und auch der Heilbutt, einst von Konrad Adenauer geliebt, wird keine Auferstehung in breiten Küchenkreisen bekommen.

Ja, eigentlich ist es höchste Zeit, nach dem Essen wieder einen Sechsämtertropfen oder einen Klaren namens Bismarck zu reichen. Doch so weit wird es nicht kommen. Willys Haupt wird nicht die Brandt-Zwieback-Packung zieren, kein deutscher Riesling-Trester wird „von Weizsäcker“ heißen, kein neues Knäckebrot „Hamm-Brücher“. ANGIE, wir verlassen uns auf dich.

Fotohinweis: JÖRN KABISCH DAS GERICHT Fragen zu Hasenpfeffer kolumne@taz.de Morgen: Josef Winkler ZEITSCHLEIFE