Wahl zwischen Großserbien und Europa

Die serbische Radikale Partei geht mit nationalistischen Parolen auf Stimmenfang. Derzeit führt sie in den Umfragen

BELGRAD taz ■ Der Wahlkampf in Serbien wird immer mehr zu einem Zweikampf zwischen der proeuropäischen Demokratischen Partei (DS) und der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS). „Stimmt für die europäische Zukunft Serbiens und europäische Werte, fordert der Präsident Serbiens und DS-Vorsitzende, Boris Tadić, die Bürger auf. „Gebt die nationale Ideologie und das Konzept eines Großserbiens niemals auf“, appelliert der Häftling des UN-Tribunals für Kriegsverbrechen und SRS-Präsident, Vojislav Šešelj an seine Anhänger.

Der wegen Kriegsverbrechen in Kroatien, Bosnien und der Vojvodina angeklagte Šešelj ist Spitzenkandidat der SRS. Seit über drei Wochen ist er im Hungerstreik. Das Tribunal hatte ihm das Recht verweigert, sich selbst zu verteidigen, nachdem Šešelj die Richter beschimpft hatte. Der Prozess wurde vorübergehend wegen seines Gesundheitszustands unterbrochen.

Der Wahlkampf der SRS dreht sich vor allem um Šešelj. Am Sonntag verlas die Parteispitze sein „politisches Testament“. „Kämpft gegen die amerikanische Hegemonie und die Globalisierung und verhindert den Beitritt Serbiens zur Nato und EU“, schreibt Šešelj, denn da seien die „traditionellen Feinde Serbiens“ konzentriert. Er verpflichtet seine Parteigenossen die okkupierten „serbischen Länder“ in Kroatien zu befreien und sich eng an Russland zu binden.

Er fordert, nie eine Koalition mit „Verrätern des serbischen Volkes“ einzugehen, und bezeichnet als solche Präsident Tadić und Premier Vojislav Koštunica. Sollten westliche Staaten mit Gewalt das zu über neunzig Prozent von Albanern bewohnte und von der UN verwaltete Kosovo von Serbien trennen, verlangt Šešelj den Abbruch diplomatischer Beziehungen. Rund 25.000 Menschen demonstrierten am vergangenen Samstag vor der US-Botschaft in Belgrad gegen das „antiserbische“ Tribunal und forderten die Freilassung Šešeljs.

Eine derart aggressive antieuropäische Kampagne und die Rückkehr zur alten xenophoben Rhetorik der Radikalen hat kaum jemand erwartet. Die Radikalen zeigten wieder ihr wahres Gesicht, meinten Analytiker. Seit fast vier Jahren, als sich Šešelj dem Tribunal stellte, bemüht sich die SRS um ein moderates Image. Die einstigen Kriegshetzer unter Slobodan Milošević präsentieren sich als gezähmte national-konservative Politiker.

Mit seiner Politik der „nationalen Versöhnung“ rehabilitierte Koštunica die SRS moralisch und politisch. Gleichzeitig machte er die Milošević-Sozialisten (SPS), die seine Minderheitsregierung unterstützten, wieder salonfähig.

Ebenso wie die SRS greift die SPS wieder auf die alte Ideologie zurück. Serbien werde Kosovo mit allen Mitteln verteidigen, versprach der am Sonntag auf dem Parteikongress gewählte Nachfolger von Milošević, Ivica Dacić, und schloss auch einen Krieg nicht aus.

Umfragen zufolge liegt die SPS derzeit bei fünf Prozent, die SRS bei gut 30 Prozent. Vor allem eine niedrige Wahlbeteiligung könnte sich als verheerend für Parteien des proeuropäischen Blocks erweisen, zu dem auch die national-konservative DSS von Koštunica gehört. Die DSS versucht, nationale Ideologie mit europäischen Werten zu versöhnen.

Wie ernst die Lage in Serbien ist, zeigt auch der Beschluss der Nato in Riga, Serbien samt Bosnien und Montenegro sofort in das Programm der „Partnerschaft für den Frieden“ aufzunehmen – wohl ein Versuch, die prowestlichen Kräfte zu stärken und Bürger Serbiens zu motivieren, am 21. Januar wählen zu gehen.

ANDREJ IVANJI