„Den Fokus auf Qualifikation legen“

ARBEITSMARKT In Berlin erprobt die erste Behörde das anonymisierte Bewerbungs- verfahren. Das soll Diskriminierung verhindern – etwa wegen Alter oder Herkunft. Aber auch für die Arbeitgeberseite bringt das Verfahren Vorteile, sagen die beiden wissenschaftlichen Beraterinnen Ramona Alt und Ines Böschen

■ Ramona Alt, 51, promovierte Betriebswirtin, und Ines Böschen, 30, Diplomsozialwirtin, haben das Modellprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wissenschaftlich begleitet. Beide unterstützen nun das Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ in Berlin.

INTERVIEW ALKE WIERTH

taz: Frau Alt, Frau Böschen, was soll das anonymisierte Bewerbungsverfahren bringen?

Ramona Alt: Das Ziel ist, Chancengleichheit nicht nur zu versprechen, sondern glaubhaft zu gewährleisten.

Das heißt: Diskriminierung im Bewerbungsverfahren zu verhindern?

Alt: Das hören wir oft, wenn wir mit Personalverantwortlichen sprechen. Sie fürchten, ein Umstieg auf das anonymisierte Verfahren könnte als Eingeständnis verstanden werden, dass sie bislang diskriminiert haben. Aber uns geht es nicht darum, Vorwürfe zu machen. Uns geht es darum, ein Bewerbungsverfahren zu etablieren, das Diskriminierung nachvollziehbar ausschließt – indem die Merkmale, aufgrund derer bewusst oder unbewusst benachteiligt werden könnte, gar nicht mehr sichtbar sind. So können Menschen, die sich wegen ihres Alters, ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts benachteiligt fühlen und deshalb gar nicht erst bewerben, wieder dazu ermutigt werden.

Es ist gar nicht so leicht, solche Bewerbungsverfahren zu entwickeln. Es ist ja nicht damit getan, das Foto und bestimmte Angaben wegzulassen.

Ines Böschen: Wir haben uns Erfahrungen aus anderen Ländern wie etwa den USA oder Schweden zunutze gemacht und uns deren Methoden angeguckt. Standardisierte Bewerbungsmasken im Internet nutzen viele Unternehmen schon. Wir haben uns überlegt: Was muss da raus, was muss drin sein?

Was muss raus?

Böschen: Angaben wie Staatsangehörigkeit, Geburtsort und -datum natürlich, aber auch solche, die indirekte Rückschlüsse zulassen. Wenn Sprachkenntnisse abgefragt werden, sollte etwa nur nach dem Niveau gefragt werden, nicht danach, was die Muttersprache ist.

Oder indem man – wie auch in dem nun in Berlin verwendeten Formular – bei früheren Beschäftigungsverhältnissen nur noch die Dauer, aber keine Jahreszahlen mehr angibt, um Rückschlüsse auf das Alter zu verhindern. Was aber, wenn ein Bewerber doch Jahreszahlen ins Formular schreibt?

Alt: Die Fragen sind sehr genau formuliert. So wird zum Beispiel gezielt nach der Beschäftigungsdauer in Monaten gefragt, um der Angabe von Jahreszahlen vorzubeugen.

Was ist mit den klassischen Motivationsschreiben, in denen die BewerberInnen ja gewöhnlich einige private Angaben über die eigene Person machen – fallen die im anonymisierten Verfahren weg?

Alt: Nein. Aber wir haben zum einen das Motivationsschreiben ans Ende der Bewerbung verschoben. Zum Zweiten haben wir in das dafür vorgesehene Formular anstelle der Unterschrift, die ja Geschlecht und eventuell auch Herkunft verraten könnte, pauschal die Formulierung „Ihre Bewerberin/Ihr Bewerber“ eingesetzt, sodass die Unterschrift entfällt.

Böschen: Es ist nicht unser Ansatz und zudem fast unmöglich, alles zu anonymisieren. Irgendwo lassen sich immer Rückschlüsse ziehen – etwa, wenn jemand eine ungewöhnliche Sprache auf höchstem Niveau beherrscht. Uns geht es darum, den Fokus auf die Qualifikation der BewerberInnen zu legen. Wenn die Informationen, die bisher gleich zu Beginn einer klassischen Bewerbung abgefragt wurden – Alter, Geburtsort, Geschlecht – wegfallen und stattdessen Berufserfahrungen und Kompetenzen der bewerbenden Person an den Anfang rücken, nimmt das auch in der Beurteilung der Personalverantwortlichen größeren Raum ein.

Alt: In Auswertungsgesprächen haben uns Personalverantwortliche gesagt, dass es oft gar keine Rolle mehr spielt, wenn sie aus dem Motivationsschreiben am Ende einer Bewerbung dann doch noch Rückschlüsse ziehen können etwa auf das Geschlecht einer BewerberIn – weil die vorhergehenden Informationen über die Qualifikation der Person schon ein Bild auf dieser Grundlage entstehen lassen, das solche Merkmale in den Hintergrund rücken lässt.

Plädieren Sie dafür, Angaben wie etwa Hobbys ganz aus Bewerbungen wegzulassen, weil sie doch die Vorstellungen beeinflussen, die man sich von einer Person macht?

Alt: Die Formulare für das anonymisierte Bewerbungsverfahren sind Muster, die man den Bedürfnissen der Unternehmen anpassen kann. Wir haben in unseren bisherigen Testverfahren immer detailliert mit den Unternehmen, die sich beteiligt haben, besprochen, welche Informationen ihnen wichtig sind. Aber aus den Standardformularen haben wir die Frage nach den Hobbys rausgenommen.

Böschen: Wir fangen ja sehr früh an, die Unternehmen zu beraten, die anonymisierte Bewerbungsverfahren testen wollen. Wir ermutigen sie, sich zunächst mal den Prozess anzuschauen, wie sie bisher mit Bewerbungen umgehen, und sich ganz genau zu fragen, was sie über BewerberInnen wissen müssen. Bei der Polizei etwa, wo körperliche Fitness eine Rolle spielt, kann es wichtig sein, nach sportlichen Betätigungen in der Freizeit zu fragen.

Bei anderen Berufen hat das aber vielleicht gar keine Relevanz.

Böschen: Genau. Die Arbeitgeber müssen sich also fragen: Ist eine bestimmte Information tatsächlich von Bedeutung oder ist es einfach nur spannend, das mal zu hören? Die anonymisierte Bewerbung führt so auch dazu, dass Arbeitgeber konkretere Anforderungskriterien formulieren – was ihnen wiederum dabei hilft, geeignete BewerberInnen herauszufiltern: weil relevantere Informationen abgefragt werden und nicht relevante wegfallen.

Das anonymisierte Verfahren löst also auch Nachdenken und eventuell Umdenken bei den Arbeitgebern aus?

■  Studien zeigen, dass etwa BewerberInnen mit türkischen Namen je nach Größe eines Unternehmens um 14 bis 24 Prozent schlechtere Chancen haben, zu Bewerbungsgesprächen eingeladen zu werden. Türkeistämmige Jugendliche müssen zudem erheblich mehr Bewerbungen als Deutschstämmige schreiben, bis sie einen Ausbildungsplatz haben. Seit 2006 schreibt das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) öffentlichen Arbeitgebern bundesweit vor, Benachteiligungen „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“.

■  Erstmals erprobt nun auch eine Berliner Behörde das anonymisierte Bewerbungsverfahren: Das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (LAGetSi) ist damit Vorreiter eines Modellprojektes der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen. Das Pilotprojekt geht auf einen Beschluss des Abgeordnetenhauses vom Mai 2013 zurück, mit dem das Parlament den Senat aufgefordert hat, das anonymisierte Bewerbungsverfahren in Verwaltung und Landesbetrieben zu testen und den Abgeordneten bis Ende Juni 2014 darüber zu berichten.

■  Nach Auskunft der Senatsverwaltung für Integration soll das anonymisierte Bewerbungsverfahren langfristig auf alle Behörden, auch in den Bezirken, ausgedehnt werden. Mehr Informationen und die anonymisierten Bewerbungsbögen unter www.berlin.de/lb/ads/anonymisierte-bewerbungsverfahren/pilotprojekt/index.html (akw)

Alt: Es gibt oft die Befürchtung: Kann ich noch eine qualifizierte Personalauswahl treffen, wenn ich die persönlichen Informationen, die Bewerbungen bisher enthielten, nicht mehr habe, also nicht mehr weiß, wie alt jemand ist oder ob Mann oder Frau? Und da ist die einhellige Meinung: Ja, das anonymisierte Verfahren gewährleistet das. Es konnten damit qualifizierte BewerberInnen ausgewählt werden.

Zeigt sich denn in Ihren bisherigen Auswertungen, dass tatsächlich die bislang benachteiligten Gruppen profitieren?

Alt: In der Auswertung des Modellprojekts, den die Antidiskriminierungsstelle des Bundes durchgeführt hat, hat sich gezeigt, dass die Methode Chancengleichheit gewährleistet.

Böschen: Das Modellprojekt hat zudem gezeigt, das gerade Frauen von den anonymisierten Verfahren profitiert haben, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund ihrem Anteil an den BewerberInnen entsprechend zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurden.

Gab es weitere Effekte?

Böschen: Wir haben neben dem Denkanstoß in den Unternehmen auch einen Effekt auf die BewerberInnen: Gerade die empfinden das Verfahren als positiv, die sich vorher als potenziell diskriminiert gesehen haben. Das ist wichtig, weil sich Unternehmen zunehmend auch attraktiv für BewerberInnen machen müssen. Da hat es Aussagekraft, wenn sie signalisieren: Es ist uns egal, ob jemand Mann oder Frau, alt oder jung, zugewandert oder eingeboren ist. Uns kommt es auf die Qualifikation an.

Wie verträgt sich das anonymisierte Verfahren eigentlich mit Quoten, die ja auch Diskriminierung verhindern sollen?

Böschen: Die Frage hat uns auch umgetrieben. Das sind ja sinnvolle Maßnahmen, die wir nicht übergehen wollten. Bei Schwerbehinderten etwa, deren gezielte Förderung das Sozialgesetz vorschreibt, kann man das nicht weganonymisieren. Und bei Behörden sind Einstellungskriterien durch das Bundesgleichstellungsgesetz stark reglementiert. Unser Ansatz ist: Das anonymisierte Verfahren greift im ersten Bewerbungsschritt. Im zweiten, bei den persönlichen Gesprächen, hat man dann die Leute vor sich sitzen und kann eventuelle Quoten berücksichtigen. Wenn ein Unternehmen also die Beschäftigung von Frauen oder MigrantInnen fördern will, kann es im zweiten Schritt entsprechend auswählen.