LINKE AM JAHRESENDE
: Hoffnung 3000

Über Literaten, Revolutionäre und Betonköpfe

HELMUT HÖGE

In der neudeutschen Hauptstadt ballen sich quasi naturgemäß die übergelaufenen „Kritiker, Nörgler und Stänkerer von gestern“, schreibt Hermann Gremliza in seiner konkret-Kolumne zu Silvester, die er früher, eingeladen von der taz-Medienredakteurin Ulrike Kowalski, schon mal nach Neujahr im Kino Eiszeit mündlich wiederholte.

„Mehr Panegyriker hat eine Herrschaft nie gesehen“, meint er heuer. Was war das noch mal? Ah: „Lobredner“ laut Wikipedia. „Doch die Kapitäne der Industrie und der Banken hatten sich zu früh gefreut“ – kann sich darüber nun wieder der Kommunist Hermann Gremliza freuen. Denn „wenn die Intellektuellen das Schiff betreten, ist dies ein Zeichen, dass es bald sinkt“.

Das Motto für diese, seine frohe Silvester-Botschaft, entlehnte er Beethovens „Fidelio“: „Komm, Hoffnung, lass den letzten Stern der Müden nicht erbleichen!“ Der Kölner „Sprachkritiker“ (ebenfalls Wikipedia) ist immerhin schon 70! Aber gibt es wirklich Grund zu dieser Hoffnung, die allein auf die linken Renegaten setzt, die „das Schiff“ – gemeint ist wohl der geschäftsführende Ausschuss der Bourgeoisie: die Regierung – schließlich zum Kentern bringen?

Der Westberliner Historiker Hans-Dieter Heilmann bestimmte das linke „Gesamtgewicht“ einmal negativ, als er rückblickend über den SDS in den Sechzigerjahren urteilte: „Wahnsinn, am Anfang waren wir zu zwölft – und jetzt sind wir wieder nur so viel.“ Wie Gremliza könnte man Heilmann zu den „unbeugsamen“ Linken zählen, wäre da nicht die frühere DDR- und jetzige Israel-Orientierung von konkret, aus der für Heilmann und andere antiautoritäre SDS-Genossen eine unakzeptable Politik resultierte. Sie zogen über diese „Revisionisten“ ähnlich her wie Gremliza über die derzeitigen „Renegaten“, die ihren Frieden mit diesem Staat und seiner Wirtschaftsordnung gemacht haben.

Achtung, Überläufer

Gremlizas Position wird jetzt allerdings von all den Ostlern gestärkt, die partout keine „Wendehälse“ sein wollten und deswegen im Westen als „Betonköpfe“ gelten: Junge Welt- und N.D.-Redakteure etwa. Besonders einig ist diese linke Fraktion sich in der Wertschätzung des stalinistischen Klassikers Peter Hacks, für den allerdings die „Fünfzigerjahre voller Hoffnung“ waren, wie es auf peter-hacks.de heißt. Auch das Unternehmerorgan FAZ kann sich immer wieder aufs Neue für Hacks erwärmen. Dort hat der Herausgeber H. J. Fest auch einmal Wesentliches zum Problem der (linken) Überläuferei beigesteuert: „Die Produktivität der Literaten und Künstler resultiert aus ihrer Fähigkeit, sich den verschiedenen Zeitströmungen anzupassen – aus ihrer moralischen Verkommenheit.“ Heute würde man allerdings von Flexibilität sprechen.

Aber egal wie, wenn dieses Konjunkturrittertum in der Kunst der Meinungsfindung quasi zur anthropologischen Ausstattung der „Intelligenz“ gehört, dann stellt sich die von Gremliza fürs neue Jahr aufgeworfene Hoffnungs-Frage so: Was für eine gesellschaftliche Macht hat diese heute IT-befeuerte „Risikogruppe“, dass sie – wohlmöglich noch zu Lebzeiten des konkret-Herausgebers – die ganze Scheiße zum Kippen bringt? Das kann ja nicht durch ihr schieres Lebendgewicht passieren, sondern nur durch ihr eher metaphysisches Wirken.

Kucken wir uns dazu kurz einen der gröbsten Renegaten an: Thomas Schmid, Herausgeber der Welt. Neulich schrieb der einst antiautoritäre Rädelsführer im „Intelligenzblatt“ des Springerverlags: „Das Volk regiert dann am besten, wenn es nicht regiert, wenn es auf kluge Weise seine Macht abgibt.“ So etwas ist natürlich eklig. Aber ist es nicht viel zu dämlich und durchsichtig, um wirklich umstürzlerische Hoffnung zu nähren?