Mai

Sie stand in der Mitte des Zimmers. Sie trug ihren blauen alten Pullover, den sie eigentlich immer anhatte. In der Hand hielt sie ein T-Shirt in Lachsrosa, das optimistischer aussah und zu dem schönen Frühlingstag passte. Ratlos schaute sie auf den geöffneten Kleiderschrank. „Das gehört mir alles nicht. Die Sachen sehen aus wie meine Sachen, aber sie gehören mir nicht. Ich muss diese Sachen wohl gestohlen haben. Das sieht man auch daran, dass die Sachen viel zu groß sind.“ – „Du hast vor fünf Jahren aber auch das Doppelte gewogen.“ – „Das kann doch nicht sein.“ Sie lachte ein bisschen. Es war, als würde sie ein Theaterstück aufführen. Ich dachte an die Buddhareden, die ich als Teenager so gern gelesen hatte. Zu lernen war immer gewesen: „Dies ist nicht meins. Das bin ich nicht.“ Als ich ging, sagte sie wieder, dass sie heute ganz bestimmt rausgeschmissen werden würde. Und die Zeitungen würden berichten, über diese komische alte Frau, die nackt durchs Dorf irren würde.DETLEF KUHLBRODT