Aldi experimentiert jetzt in der Schweiz

Der Eidgenossenstaat ist Aldis Versuchslabor für neue Geschäftsmodelle. Mit Rücksicht auf lokale Gewohnheiten löste Deutschlands größter Discounter dort einen Preisrutsch aus. Doch die Antwort der Konkurrenten ließ nicht lange auf sich warten

VON RENÉE ZIPPERLEIN

Wer wissen will, wie Aldi die Zukunft der Discounter sieht, der muss nur ins Internet gucken: Zeigt sich Deutschlands größter Discounter hierzulande auch im Internet vor allem preisaggressiv, zeigt sich Aldi Suisse von einer ganz anderen Seite: Gut aussehende Menschen tragen prachtvoll glänzendes Marktgemüse in großen Papiertüten dem Betrachter entgegen, und es locken verführerisch pralle, feuchte Tomaten. Dazu informiert das Unternehmen über höchste Qualitätsstandards und seine Philosophie. Auch sonst ist hier allerhand anders als in Deutschland, selbst ein Jahr nach dem Eintritt in den Schweizer Markt, der dort diskutiert wurde wie einst die Türken vor den Toren Wiens.

Schließlich galt die Schweiz als solche Hochpreisinsel.Doch Aldi hat die Gemütlichkeit des Einzelhandels in der Schweiz gründlich gestört. Die Folge: Um bis zu 30 Prozent sind die Einzelhandelspreise seit 2001 auf breiter Front gesunken.

21 Filialen hat Aldi Suisse innerhalb des ersten Jahres eröffnet und ist laut Konsumentenblatt K-Tipp der billigste Anbieter der Schweiz. Der deutsche Handelsriese gibt sich mit dem Start offiziell sehr zufrieden, doch nicht nur die Neue Zürcher Zeitung spricht bereits von einer stockenden Offensive: Der erste Sturm scheint abgeflaut. Studien stellen Aldi in Aussicht, bis 2010 seinen Marktanteil kaum über ein Prozent heben zu können. Doch langfristig will Aldi in der Schweiz flächendeckend Nahversorger werden.

Gelingen soll dies, indem sich der sonst uniforme Discounter an Schweizer Gewohnheiten anpasst: Zwar liegen dieselben Kacheln auf den Böden wie in Deutschland, doch landen die Einkäufe in Papier- statt in Plastiktüten. Und Wein präsentierte Aldi Suisse anfangs in einem besonderen verzierten Gestell. Mit Beleuchtung. Die zumindest ist inzwischen abgenommen. Auch im Kühlbereich gibt sich Aldi anders und bietet weitaus mehr Käse an als Wurst. In Deutschland ist das umgekehrt. Neu ist auch, dass Aldi eigene Schweizmarken eingeführt hat, die von den bald drei Vertriebszentren in die Filialen gekarrt werden.

Ganz unschweizerisch allerdings sind die Arbeitsverträge, die dem Arbeitgeber erlauben, Angestellte routinemäßig auf gestohlene Waren zu kontrollieren. Ungewohnt waren auch die Aldi-Regelungen, Zusatzverdienste für Halbtagskräfte zu regulieren oder die Möglichkeit, beim Arzt im Krankheitsfall nach dem Grund des Fernbleibens fragen zu dürfen. Eine Fehlinterpretation, heißt es bei Aldi Suisse. Es ginge nur darum, zu erfahren, ob jemand überhaupt gesundheitlich für den Filialeinsatz geeignet sei. Auch Gewerkschaften sind in Aldi-Filialen praktisch nicht repräsentiert. Dazu kommt, dass sich die beherrschenden Schweizer Handelsriesen wie Migros, Coop und der Discounter Denner inzwischen auf die Aldi-Invasion eingestellt haben. So hat etwa Coop allein mit dem Billigsortiment der Marke „Prix Garantie“ im Jahr 2005 rund 280 Millionen Franken umgesetzt. Das ist mehr, als alle Schweizer Aldi-Märkte zusammen verkaufen.

Der Preiskampf zeigt Wirkung. Laut einer aktuellen Warenkorb-Studie des Magazins K-Tipp haben die Schweizer Märkte beträchtlich aufgeholt. Zwischen Aldi und seinen Konkurrenten liegen nur noch höchstens 11 Prozent Preisunterschied. Ein weiterer Grund dafür ist der abgeschottete Schweizer Agrarmarkt, einer der letzten wahren Handelsbastionen der Welt. Gerade im Nahrungsmittelbereich ist Aldi seinen Konkurrenten kaum voraus. Der größte Konkurrent sitzt ohnehin dicht auf der anderen Seite der Grenze: Er heißt Aldi Süd.