Vom Straf- zum Wohltäter

Seit dem Urteil im Mannesmann-Prozess kann sich das Düsseldorfer Landgericht des Ansturms potenzieller Bußgeldempfänger kaum mehr erwehren – es geht um mehr als zwei Millionen Euro

von GUNNAR LEUE

Der Jackpot ist geknackt und, natürlich, auf einmal melden sich eine Menge Leute, die etwas vom plötzlichen Geldsegen abbekommen wollen. An wen sie sich wenden müssen, ist bekannt, nur dass die Glücklichen, die tatsächlich etwas erhalten, noch nicht feststehen. Beziehungsweise noch nicht konkret. Grundlage der vorweihnachtlichen Bescherung ist ein Skandal, jedenfalls nach landläufiger Meinung. Das Düsseldorfer Landgericht hat das Verfahren gegen Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und fünf andere wegen Untreueverdachts Angeklagte gegen Zahlung von insgesamt 5,8 Millionen Euro eingestellt. Noch heftiger als die Entrüstung („Jaja, die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen“ etc.) ist der Ansturm an Interessenten, seit feststeht, dass 40 Prozent der erklecklichen Summe an gemeinnützige Organisationen fließen sollen (der Rest in die Staatskasse).

Seither geht es in der Düsseldorfer Außenstelle des deutschen Rechtsstaates hoch her. So viele Wünsche trafen per Telefon und E-Mail ein, dass Mitarbeiter und Server irgendwann kapitulierten. Die Bewerber um ein Stück des 2,3-Millionen-Kuchens reichen von der großen Hilfsorganisation bis zum Kindergartenförderverein und der Sozialstation, die neue Gardinen braucht.

So geht der Tanz ums Goldene Kalb, der die Spitzenmanager einst auf die Anklagebank brachte, nach der Gerichtsshow in anderer Form weiter. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel ums Geld, bei dem sich die „Bösen“ letztlich sogar gut fühlen dürfen. Es ist ja ein Teil ihrer offiziell nicht unrechtmäßig erworbenen Kohle, mit der bald Gutes getan wird. Aus vermeintlichen Straftätern werden Wohltäter, deren Anwälte nun Vorschläge machen können, wer Geld bekommen soll. Letztlich entscheiden die Richter über die Verteilung, wobei häufig die „spezielle Ausprägung des Delikts“ berücksichtigt wird: Bußgeld für die Beleidigung eines Behinderten etwa käme demnach einem Verein zur Förderung Behinderter zugute.

Gute Chancen auf ein paar Ackermann-Euro hat auf jeden Fall, wer schon auf der Liste der gemeinnützigen Bußgeldempfänger irgendeines Gerichts steht. In Berlin sind es zum Beispiel 349 – an so viele Institutionen mit gemeinnützigem Zweck wurden im vergangenen Jahr gut zwei Millionen der fünf Millionen Euro verteilt, die die Berliner Justiz an Geldauflagen verhängte. Davon profitierten keineswegs nur Berliner Vereine wie das Kinderspielzentrum „Popel-Bühne“, sondern auch die Stiftung „Hänsel & Gretel“ Karlsruhe, die Kindernothilfe Duisburg oder das Westfälische Kinderdorf Paderborn, aber auch das Polizeiorchester Berlin und die Rechtsanwaltskammer Berlin. So unterschiedlich wie die Gemeinwohltäter, die bei der Ausschüttung bedacht wurden, sind auch die Summen, die ihnen die Richter zusprachen. Es geht hinunter bis zu 50 Euro.

Ein prominentes Mitglied jener Gruppe Menschen, die „durch Zahlung an eine gemeinnützige Organisation einen Beitrag zur Stütze unserer Gesellschaft leisten, deren Gesetze sie zuvor missachtet haben“ (so Berlins Ex-Justizsenatorin Schubert), wurde in diesem Jahr auch Michael Ballack. Weil er eine im Duty-Free-Shop in Dubai gekaufte Handtasche nicht beim deutschen Zoll angemeldet hatte, drohte ihm vor Gericht in Landshut ein Verfahren, das er aber gegen eine Geldbuße von 70.000 Euro abwenden konnte. 65.000 davon gehen an soziale Einrichtungen.

Nicht nur die Vereine, sondern auch mancher Politiker hätte es gern, dass noch mehr Geldauflagen zugunsten gemeinnütziger Organisationen verhängt würden. Aufgrund der Unabhängigkeit der Richter lässt sich das jedoch nicht so leicht forcieren wie beispielsweise die Steigerung der Bußgeldeinnahmen aus Verkehrskontrollen.

In den USA, wo die Richter ihre Entscheidungsspielräume besonders kreativ ausschöpfen, werden manche Prominente gerne zur Verrichtung gemeinnütziger Arbeit verdonnert. So musste Boy George nach einem Drogendelikt jüngst als Straßenfeger in New York malochen, was ihm gar nicht gefiel. Vielleicht hätte man Josef Ackermann auch kehren lassen sollen. Er weiß ja, wo das Geld auf der Straße liegt.