Die Zerlegung des Wir

THEATER AM GOETHEPLATZ „Pomp & Circumstance“ dekonstruiert unterhaltsam Wir-Gefühle, leidet aber an zu vielen Details

Viel Applaus für die Ensembles – vehemente Buhs für die Regie

Wer sich in einer Ideologie aufgehoben fühlen möchte, sucht regelmäßig nach Selbstvergewisserung. Christen auf Kirchentagen, das nationale Wir feiert sich bei Anlässen wie der Fußballweltmeisterschaft. Oder träumt in England bei der „Last Night Of The Proms“ in London von vergangener Größe.

Jenes berühmte Saisonabschlusskonzert ist die Ausgangssituation der spartenübergreifenden Inszenierung „Pomp & Circumstance – Music For A Kingdom“ von Christiane Pohle, die am Goetheplatz Premiere feierte. Mit überbordendem Ideenreichtum versetzt sie die Proms nach Bremen, mitsamt Königin und Hofstaat, jeder Menge Fähnchen und einem bräsigen TV-Kommentator, der von den Seitenwänden in gruslig grünweißem Pullunder das Programm verkündet: „Wahnsinn – so etwas gibt es nur hier auf der Insel“, begeistert sich der Mann (herrlich: Caspar Kaeser), und dann gibt es auch noch „You’ll Never Walk Alone“, gesungen von Christian-Andreas Engelhardt. Kein Wunder, dass die Queen (Ursula Clasen) da ein paar Tränen verdrückt.

Dazu spielen die Bremer Philharmoniker unter Clemens Heil ein buntes Programm zwischen Britten, Elgar und dem ehrwürdigen „Rule, Britannia!“ von Thomas Arne – das den Bruch markiert zwischen dem Pomp der einstigen Großmacht und der weniger ruhmreicher Gegenwart. Eine Kluft, die sich im karnevalesken Frohsinn fortsetzt, der im (inszenierten) Publikum grassiert, das mit Knallfröschen ins Geschehen eingreift, während die Königin sphinxhaft lächelt und der Thronfolger (Peter Fasching) verliebte SMS an Sängerin Ulrike Mayer schreibt.

Alles läuft nach Plan. Bis die große Ansprache des Dirigenten leider ausfallen muss: Ratlosigkeit macht sich breit, die Kaeser mit billigen Anekdoten zu überspielen sucht, die Blasenentzündung von Prinz Phillip, die Schildkröten, die die Queen einst auf den Seychellen geschenkt bekam – allein: Das Fest ist vorbei. Die Queen thront zwar weiter stumm über dem Geschehen, ihr Sprössling stellt unermüdlich der Sängerin nach. Bald aber ergeht er sich in dadaistischen Monologen, Kaeser quält sich in Butoh-Zeitlupe, ein Streichquartett grundiert mit ergreifenden Purcell-Preziosen die Melancholie nach dem Fest. Auch im Publikum: Ernüchterung – nach dem fulminanten Beginn nun das? Die Zerlegung des Wir?

Dann entwickelt sich noch einmal so etwas Intensität: Der zurückgetretene Thronfolger wird zum Robinson, der eigenes Brot backt und rührend im Geiste Voltaires den Garten bestellt.

Viel Applaus am Ende für die Ensembles – vehemente Buhs für die Regie. Wüsste man nicht, dass es die beinahe schon reflexhafte Reaktion auf die Abkehr vom gängigen Opern-Schmus ist, ließe es sich als Enttäuschung über die Zerlegung des Wir lesen – oder als Kritik an der Detailverliebtheit der Inszenierung. ANDREAS SCHNELL