Propaganda im orangen Dress

KUNSTFILM Das Festival „Rencontres Internationales Paris/Berlin/Madrid“ im Haus der Kulturen der Welt präsentiert sich als Wundertüte mit überbordendem Filmprogramm

Ein gewisser Mangel an Zusammenhang ist immer auch etwas Aufregendes

VON CAROLIN WEIDNER

Als hätte sie eine überlebensgroße Pinzette am Kragen ihres Kleides gepackt und mechanisch, aber bestimmt auf den Bühnenrand gesetzt. So verharrt die Sängerin nun einigermaßen steif auf schwarzer Fläche, die Positur hat etwas von einer Strand-Meer-Räkelung. Doch am Horizont, da ist kein Wasser und auch kein Sonnenuntergang, sondern die ewige Nacht des Showbiz mit ein paar Spotlights, die wirken wie Sterne, jedoch viel zu große. Ein Standbild, das keines ist. Aber es gibt Inszenierungen, die hinterlassen in der Retrospektive ein einziges Freeze. Bei Adel Abidin sind diese eingefrorenen Rahmen ganz besonders eindringlich. Und merkwürdig. Drei sind es an der Zahl.

Sie alle zeigen das Klischee einer Sängerin in ihrem jeweiligen musikalischen Habitat: Jazz, Lounge, Pop. Was auch immer man sich darunter vorstellen mag – die Lieder, welche die drei Damen in „Three Love Songs“ zum besten geben, dürften damit wenig zu tun haben. Denn der Bruch, um den es Abidin geht, liegt auf der Textebene. Und auf dieser Ebene sitzt Saddam Hussein auf einem Thron und wird in Zeilen voller Leidenschaft gepriesen. Den drei Sängerinnen in Abidinis Film wurde angeblich nicht mitgeteilt, was sie da eigentlich singen. Dafür ist es für den Zuschauer als Untertitelung ersichtlich, der sich von der Performance wohl gleichsam verführt und abgestoßen fühlen soll, irritiert von der süßen Propaganda im orangefarbenen Dress.

Das kurze Video ist am Samstagabend im Programmblock „Reconstructions“ im Theatersaal des Haus der Kulturen der Welt zu sehen. Im Rahmen des Festvials „Recontres Internationales“, das als ambitioniertes und etwas vages Schwergewicht (über 100 Filme werden vom 3. bis 8. Juni gezeigt) zwischen Berlin, Paris und Madrid pendelt und die über das Jahr eingesammelten Filme auf Leinwände etablierter Institutionen bringt.

Manchmal scheint es dabei, als würde Recontres Internationales alles in sich aufnehmen (und wieder ausstoßen), das zwar Film ist, aber eher Film als Untersegment des noch viel größeren Labels „contemporary art“. Oder wie Lukas Foerster es im vergangenen Jahr doch sehr trefflich benannte: „Weitgehend unkuratiert wirkt das Festival, das sich in erster Linie als fast etikettenloser Behälter für die ausufernde Bildproduktion im Kunstbereich zu verstehen scheint.“

Ein gewisser Mangel an Zusammenhang ist aber auch immer etwas Aufregendes. Ein etikettenloser Behälter kann auch eine Wundertüte sein, die, das weiß jedes Kind, eine ziemlich begehrliche Sache ist. Und so frohlocken sie im Recontres-Programm auch mit Titeln wie „Ghosts“ oder „Karl Marx Avatar“. Was steckt da wohl drin?

Die Themen sind indessen so überbordend, dass sie sich schwerlich auf einen Nenner bringen lassen. Im Block „Political History“ (5. Juni) sind es zum Beispiel Archivaufnahmen der Konferenz von Jalta, die sich Tatiana Istomina in „Yalta: A Story of Disappearance“ aus der Position einer fiktiven Beobachterin erschließt und umgehend kommentiert. Während Igor Bosnjak in „Hotel Balkan“ vergessene Räumlichkeiten aufsucht, diese in beklemmende Einstellungen bannt und anschließend mit einer Tonspur irgendwo zwischen Industrial und Noise (aufgenommen in einem Bunker in Konjic) versieht.

Und mittendrin: die großartige 16-mm-Exkursion „Patterns“ von Ugnius Gelguda und Neringa Cerniauskaite. Hier wird den Grafiken Victor Vasarelys vom Designbüro bis auf den Deckel handelsüblicher Pralinenboxen nachgespürt und somit auch einer Sowjetunion im Zeichen der Op-Art.

Ein Zentrum des Festivals, das sich auch als solches benennen lässt, ist jedoch Jon Josts „Coming to Terms“ (Samstagabend), eine Meditation über den Tod und die Familie auf Spielfilmlänge mit James Benning in der Rolle eines alten Mannes, der im Angesicht seines eigenen Ablebens die Bruchstücke seiner Familie zusammentrommelt. Was wie eine Geschichte anmutet, dürfte sich aber sicherlich als etwas anderes ausgehen. Recontres Internationales bleibt unberechenbar. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei.

■ „Rencontres Internationales Paris/Berlin/Madrid“: HKW, bis 8. 6., Programm unter www.hkw.de