Stilles Ende eines langen Kampfes

WOHNEN Eine an multipler Sklerose erkrankte Frau und ihr Lebensgefährte werden zwangsgeräumt

Am Ende geht alles erstaunlich geräuschlos. Die Gerichtsvollzieherin, eine unaufgeregte Frau im Polohemd, steht am Mittwochvormittag in der Wohnungstür und lässt sich von Stefen Oldenburg die Schlüssel aushändigen. Auch die Eigentümer sind gekommen, nervös folgen sie der Gerichtsvollzieherin. Oldenburg nimmt den Rollator seiner an multipler Sklerose erkrankten Lebensgefährtin, die die Wohnung in der Turmstraße bereits verlassen hat, und bringt ihn zum Umzugswagen. Das war’s. Die beiden werden die Wohnung, um die ihr Leben jahrelang kreiste, nicht mehr betreten.

Eine Zwangsräumung mit Vorgeschichte: 2007 mieten Oldenburg und Barbara Fussan-Kühne, seine Lebensgefährtin, die erste Etage des Altbaus in Moabit. Sie hat kurz zuvor von ihrer Erkrankung erfahren. Die Elfzimmerwohnung soll rollstuhlgerecht umgebaut werden. Oldenburg will hier eine Computerfirma gründen, Fussan-Kühne soll für die Verpflegung seiner Mitarbeiter sorgen.

Sie schließen einen Mietvertrag ab, der regelt, dass sie die Wohnung selbst ausbauen. Bei einer Kündigung solle den Mietern der Wert ihrer Investitionen ersetzt werden. Als im Hinterhaus ein Schwammschaden festgestellt wird, kommt es zum Streit – und zur Kündigung. Das Gericht stellt fest: Der Mietvertrag enthalte formale Fehler. Unter anderem seien die Vermieter nicht klar genug benannt und das Dokument damit ungültig.

Fussan-Kühne und Oldenburg können nicht glauben, dass ihre Investitionen – laut einem Gutachten über 200.000 Euro – einfach weg sein sollen. Sie gehen durch die Instanzen – und verlieren. Pikant: 2011 kauft eine Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Drittel des Hauses. An der Situation ändert das nichts.

Fussan-Kühne geht es gesundheitlich bald schlechter. Die Wohnung verlässt sie zuletzt fast gar nicht mehr – aus Angst, jemand könne etwa einen Wasserhahn aufdrehen und den Schaden ihnen anhängen. Insofern ist die Zwangsräumung auch eine Erlösung. „Endlich können wir diesen Kerker verlassen und wieder den Himmel sehen“, sagt Oldenburg. Fussan-Kühne besitzt ein Haus im Eichkamp, dort werden sie wohnen. Das Ende des Rechtsstreits ist das wohl trotzdem nicht. Oldenburg sagt: „Wir ruhen uns jetzt aus. Und fangen dann erst richtig an.“

ANTJE LANG-LENDORFF