Traumforschung mit Hightech

Positronen-Emissionstomografen haben die Traumforschung verändert. Die neuen bildgebenden Verfahren erlauben Psychologen einen Blick in das Gehirn von Träumenden und so ein besseres Verständnis vom Traumgeschehen

Die Menschen träumen im Labor häufig vom Labor selbst

VON KATHRIN BURGER

Adolf Hitler soll im Jahre 1917 geträumt haben, er liege in einem Schützengraben und wäre verloren. Auf merkwürdige Weise wurde er jedoch gerettet. Aus diesem Traum machte der Tyrann eine Vorsehung, hieraus speiste er seine Allmachtsfantasien. So interpretieren es zumindest einige Traumforscher. Wer jedoch glaubt, die Wissenschaft vom Traum beschäftige sich lediglich mit dieser Art von Traumdeutung à la Sigmund Freud und C. G. Jung und sei damit eine Sache der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der täuscht sich.

Seit einigen Jahren erfährt die Traumforschung eine Renaissance. Weitab von esoterischer Laienpsychologie wurde sie wieder belebt durch die moderne Neurobiologie und ihre technischen Gerätschaften. Ein Indiz dafür: Die Anzahl der entsprechenden Publikationen ist rapide angestiegen. Und kürzlich machten renommierte Referenten auf einem Symposium der TU München deutlich, dass es weitaus mehr „Neues vom Traume“ zu berichten gibt als bunte Bildchen aus Hirn-Scannern.

Seit den 1950er-Jahren haben die Wissenschaftler Träume mithilfe der Elektro-Enzephalogie (EEG) untersucht. Man fand heraus: Träume finden vor allem im REM-Schlaf statt, einem Zustand, erkennbar an fehlendem Muskeltonus und unruhigen Augenlidern. Das Gehirn ist dann im Bereich der Stirnrinde aktiv.

Als Forscher jedoch 40 Jahre später mit einem Positronen-Emissionstomografen (PET) „tiefer“ ins Gehirn blickten, machten sie einschneidende Entdeckungen: Das limbische System, in dem Menschen Gefühle verarbeiten, ist stark involviert in das Traumgeschehen, das Vorderhirn dagegen, die Ratio, ausgeschaltet. „Damit war klar: Beim Träumen ist das Gehirn in einem völlig anderen Aggregatszustand, als man vorher vermutet hatte“, erzählt Michael Wiegand, Psychiater am Münchner Klinikum rechts der Isar.

Mittels PET gelang beispielsweise auch die Erklärung, warum wir im Schlaf lernen. Der Hippocampus ist die Hirnregion, in der wir Gedächtnisinhalte speichern. Dessen Neuronen feuern im REM-Schlaf besonders stark.

Wovon wir träumen, hat Michael Schredl vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim untersucht: Das Gehirn verarbeitet im Traum beispielsweise fast ausschließlich Sehreize, dazu nehmen wir in drei von vier Träumen auch Geräusche wahr oder sagen etwas. Geschmack, Geruch oder Schmerzreize kommen praktisch beim Träumen nicht vor.

Der Empiriker Schredl bestätigt mit seiner Forschung auch geschlechtsspezifische Klischees. So träumen Frauen eher von Traurigem, von nahe stehenden Personen, Kleidern oder Haushaltsgeräten, selten vom Beruf. Männerträume drehen sich dagegen sehr häufig um Konkurrenz – auch im Büroalltag –, Sex oder körperliche Aggression. Das hat sich in 50 Jahren, trotz feministischer Sozialisation, auch nicht verändert, so besagen es Traumprotokolle aus den Jahren 1956, 1970, 1981 und 2000, die Schredl ausgewertet hat.

Die Traumerhebung ist jedoch nicht ganz einfach. Empiriker stehen vor dem Problem, dass viele Menschen sich schlicht nicht erinnern (vor allem Männer) oder im Traumlabor von ganz anderen Dingen umgetrieben werden als in ihrer gewohnten Schlafumgebung. Sie träumen nämlich im Labor häufig vom Labor selbst.

Licht ins Traumgeschehen bringt auch die Gedächtnisforschung. Diese unterscheidet zwischen dem episodischen Gedächtnis, das sich aus früher einmal bewussten Erinnerungen speist. Das prozedurale Gedächtnis stammt dagegen aus unbewussten, archaischen Erfahrungen der ersten Lebensjahre.

Michael Ermann, Wissenschaftler an der LMU in München, sieht hier eine Verbindung zu der Art, wie wir träumen. Traumgeschichten, die eine Handlung haben und in denen vertraute Personen vorkommen, seien eher mit dem episodischen Gedächtnis verknüpft. Träumt man dagegen von Zuständen, etwa vom Fallen oder von fehlenden Gliedmaßen, greife das Gehirn wohl auf die archaischen prozeduralen Erfahrungen zurück, glaubt Ermann.

Auch für den Alb, den koboldhaften Naturgeist, der auf der Brust des Schlafenden sitzt und ihm die Luft abdrückt, interessieren sich die Forscher. Vor allem Kinder und Jugendliche werden von Albträumen geplagt. Hans-Peter Kapfhammer, Psychiater am Universitätsklinikum Graz, sieht das als Teil der normalen kindlichen Entwicklung und Reizverarbeitung. Immer wiederkehrende Albträume bei Erwachsenen deuteten jedoch auf krankhafte Störungen wie beispielsweise Parkinson, Atemwegserkrankungen oder das Posttraumatische Stresssyndrom (PTSD) hin.

Warum, weiß man jetzt erst. In all den genannten Zuständen befindet sich das Gehirn in gleicher Weise aktiviert: Es kommt zu REM-Schlaf-Störungen, das über Noradrenalin beeinflusste System ist überaktiv, die Schlaf-, Angst- und Atemzentren liegen sehr nah beieinander. „Dieses Wissen ermöglichte es, verschiedene Therapien zu entwickeln, um etwa Traumapatienten von Albträumen zu befreien“, so Kapfhammer.

Eine Möglichkeit sind Medikamente, die das Noradrenalin-System beruhigen. Liegt den Albträumen eine Atemstörung zugrunde, arbeiten Schlafmediziner mit speziellen Beatmungsgeräten. Sehr gut untersucht und hilfreich ist laut Kapfhammer auch die „Imagery Rehearsal Therapy“, bei der PTSD-Patienten lernen, ein gutes Ende der Angsterlebnisse im Traum einzuüben.

Doch warum begegnen dem Homo sapiens eigentlich nächtens Spinnen, stürzt er von Klippen, trifft alte Bekannte wieder oder gibt sich erotischen Augenblicken hin? Ob Träume also Schäume sind oder wir träumen, um sinnlose Alltagserlebnisse zu entsorgen, das können auch Neuropsychologen noch nicht endgültig beantworten.