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Archiv-Artikel

Bei Anruf ausgemustert

MUSTERUNG Bei den letzten Einberufungsterminen hat die früher gefürchtete Musterung viel von ihrem Schrecken verloren

BERLIN taz | Von der Aussetzung der Wehrpflicht hatte der achtzehnjährige Schüler Roman W. zwar schon gehört, aber dass diese ihn so direkt betreffen würde, hätte er nicht geahnt. Den Grundwehrdienst wollte er auf keinen Fall leisten. So bereitete er sich wie schon viele junge Männer vor ihm akribisch auf den Musterungstermin vor. Frei nach dem Motto: Finde deine Schwächen – und baue sie aus.

„Es ranken sich da ja die verschiedensten Geschichten um die besten Wege zur Ausmusterung, vom Luftanhalten bei den Liegestützen bis hin zum Joint am Vorabend“, erzählt Roman W., und auch wenn er wirklich fürchtete, vielleicht doch noch eingezogen zu werden, verließ er sich lieber ganz auf ärztliche Atteste. Bewaffnet mit diesen Belegen für seine körperlichen Defizite fuhr er an einem kalten Dezembermorgen zum Kreiswehrersatzamt Oberspree. Um sieben Uhr traf er in der Kaserne ein, schon fünf Minuten später wurde er aufgerufen: „Bist du denn überhaupt interessiert am Grundwehrdienst?“ Diese direkte Frage der Sachbearbeiterin überraschte ihn nach all den Erzählungen schon ein wenig. Über die Antwort musste er aber nicht lange nachdenken. Und so war Roman W. nach zehn Minuten Aufenthalt im Kreiswehrersatzamt ausgemustert. Keine Urinproben, Sporttests oder sonstige Untersuchungen: „Die Reise zur Kaserne wirkte auf mich im Nachhinein wie eine Farce.“

Noch etwas mehr Glück hatte Jens K. Der ebenfalls achtzehnjährige Schüler konnte den im Musterungsbrief angegebenen Termin aufgrund einer ärztlichen Untersuchung nicht einhalten. Kurz darauf rief ihn das Amt an. „Zuerst bekam ich einen Schreck, vielleicht hatten sie mein Entschuldigungsschreiben nicht erhalten.“ Aber die freundliche Frauenstimme am anderen Ende der Leitung konfrontierte Jens K. nur mit derselben Frage, die auch schon Roman W. so überrascht hatte. Nach weniger als fünf Minuten, und ohne das Kreiswehrersatzamt jemals von innen gesehen zu haben, war Jens K. ausgemustert.

Ähnliche Erfahrungen wie die beiden Abiturienten machten in den vergangenen Monaten wohl viele der potenziellen Rekruten. Marion Krauskopf, Leiterin des Berliner Kreiswehrersatzamtes, bestätigt dieses Vorgehen: Auf offizielle Weisung erfolgt die Zwangsmusterung der letzten Jahrgänge nur noch, wenn der Wehrpflichtige dies will – sonst nicht. Eine wirkliche Änderung stellt dies aber nur im subjektiven Empfinden der jungen Männer dar. Denn schon in den vergangenen Jahren wurde nur noch ein Bruchteil des jeweiligen Jahrgangs eingezogen. So gingen von 436.000 Männern, die 2008 gemustert wurden, nur 67.000 zur Bundeswehr. Von den im Jahr 2009 gemusterten 450.000 Männern absolvierten dann nur noch 57.000 den Grundwehrdienst. ELIAS SCHNEIDER