Latent schwelende Unzufriedenheit

HOCKEY Die Weltmeisterschaft in den Niederlanden geht für Herren-Bundestrainer Markus Weise mit dem heutigen Spiel gegen die Gastgeber richtig los – gleichzeitig kritisiert er den Hockey-Weltverband scharf

„Wir haben etwas ganz Krasses gemacht und einfach mal drüber geredet“

HOCKEYTRAINER MARKUS WEISE NACH DEM 0:1 GEGEN ARGENTINIEN

Seit der Eröffnung der Hockey-WM in Den Haag ist fast eine Woche vergangen– so richtig in Wallung gerät Markus Weise aber erst jetzt. Dem Herren-Bundestrainer steht mit seinem Team das wichtige Spiel gegen die Gastgeber (heute, 19.45 Uhr, Sport 1) bevor. „Wir werden zum ersten Mal die volle Dröhnung bekommen, mit ein bisschen Verkehrsstau und richtig Rambazamba im Stadion“, ahnt der Herren-Bundestrainer vor der Neuauflage des olympischen Finales von 2012. Damals siegte die Auswahl des Deutschen Hockey-Bunds (DHB) mit 2:1 und verteidigte ihre Krone von Peking. Nun sollte sie möglichst auch in der Höhle des orangefarbenen Löwen gewinnen, um nach der unerwarteten Niederlage gegen Argentinien am Dienstag die Chance aufs Halbfinale zu wahren.

Weise, dem gebürtigen Mannheimer, ist dabei grundsätzlich jeglicher Firlefanz suspekt. Eine „latent schwelende Unzufriedenheit“ hat er in seiner Mannschaft beim 0:1 gegen die Argentinier ausgemacht – und antwortet auf die Frage, wie er den siegesgewohnten Spielern diese plötzliche Motzgesinnung auszutreiben versucht hat: „Wir haben etwas ganz Krasses gemacht und einfach mal drüber geredet.“ Mitbestimmung und Eigenverantwortung der Akteure sind für Weises Arbeit von zentraler Bedeutung, und seine Diskussionspartner dankten ihm diese Offenheit in den zurückliegenden Jahren mit einer langen Reihe großer Triumphe.

Deshalb glaubt der 51-Jährige, der 2008 von Mannheim nach Hamburg übersiedelte, auch an das Gute im Hockey-Menschen. Zumindest solange dieser Hockey-Mensch einen Schläger in den Händen hält. Auf die Funktionäre seines Weltverbandes ist der Erfolgscoach dagegen weniger gut zu sprechen. Vor allem, seit das Internationale Olympischen Komitee (IOC) dem Hockey-Weltverband FIH nach den Spielen in London die Gelbe Karte unter die Nase hielt. Seitdem muss der FIH um seine Daseinsberechtigung beim Tanz um die fünf Ringe fürchten.

Um den IOC-Granden zu gefallen, wird in der Branche daher nun über Regeländerungen spekuliert. Zum Beispiel: statt wie bislang über zwei Halbzeiten künftig über viermal 15 Minuten zu spielen. Oder, um im olympischen Dorf weniger Betten zu belegen, vom System mit elf Spielern auf das sogenannte „Hockey 5“ umzustellen. Als „Quatsch“ bezeichnet Weise derartige Überlegungen – und geht die zuständigen Funktionäre entsprechend frontal an. „Ich finde es“, sagt er, „relativ unerträglich, wie in unserem Weltverband im kleinen Kreis an unserem Sport herum geschraubt wird. Und zwar immer mit dem Argument, Hockey attraktiver zu machen – und immer am Gängelband des IOC.“ Markus Weise, als Trainer drei Mal in Folge – 2004 mit den deutschen Damen, 2008 und 2012 mit den Herren – Olympiasieger, bringt diese Haltung innerhalb der FIH auf die Palme. „Ach, dort hat man einfach nur die Hose voll“, ruft er aus. „Man steht nicht zu seinem Sport, sondern schraubt wie ein Wahnsinniger an ihm herum.“ Deshalb würde den Bundestrainer auch eine Verkürzung des WM-Rhythmus’ (bislang alle vier Jahre) „überhaupt nicht überraschen“.

Perplex wäre er allerdings, würden die Holländer am Freitagabend gegen seine Mannschaft ähnlich defensiv agieren wie die Argentinier bei ihrem Coup am Dienstag. „Wir müssen den Glauben an uns wiederherstellen, und die Stärke des nächsten Gegners wird uns dabei helfen“, ist sich Weise sicher. „Manchmal“, fügt er noch hinzu, „sind es nur Kleinigkeiten, die man ändern muss – und dann ist alles gut.“ Oder, anders ausgedrückt: „Es ist eine schmale Linie, auf der man sich bewegt. Ein bisschen wie beim Seiltanz – man muss halt nur auf dem Seilchen bleiben.“ ANDREAS MORBACH