Handicap-Forscher bleiben unbequem

RETTUNG Mit der evangelischen Hochschule hat das Zentrum für Disability Studies einen neuen Träger gefunden. Für die nächsten drei Jahre ist die Arbeit des Hamburger Projekts damit gesichert, das die Uni loswerden wollte

VON BIRK GRÜLING

Noch ist alles etwas provisorisch in der neuen Wirkungsstätte am Horner Weg. Die Büros sind noch nicht eingerichtet, an einer neuen Homepage wird gearbeitet. Erst vor zwei Monaten hat die Evangelische Hochschule die Trägerschaft für das Hamburger Zentrum für Disability Studies (Zedis) übernommen. Hinter dem etwas sperrigen Namen verbirgt sich ein im Norden einzigartiges Forschungsinstitut: Disability Studies bedeutet übersetzt Studien über Behinderung. Die Besonderheit dabei: Menschen mit Behinderung forschen selbst zu ihrer Lebenswelt.

Sechs der sieben Wissenschaftler haben selbst ein Handicap. „Es kann nicht sein, dass nur Nicht-Behinderte uns erforschen, sagt Institutsleiterin Esther Bollag. „Dadurch wird die Perspektive zu einseitig.“ In einer „Behinderten-Ecke“ will sie ihre Arbeit nicht sehen, dafür seien ihre Fragen an die Gesellschaft zu relevant: Was braucht es für ein selbstbestimmtes Leben? Wie entstehen Vorurteile und wo beginnt Diskriminierung? „Die Erforschung solcher Fragen steckt noch in den Kinderschuhen“, erklärt die promovierte Theologin.

In Hamburg leistet das Zedis seit fast zehn Jahren Aufbauarbeit. Mehr als 60 Lehrveranstaltungen haben die Forscher in den letzten Jahren organisiert, dazu ein Dutzend öffentliche Ringvorlesungen. Für seine Arbeit wurde das Zentrum mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Senator-Neumann-Preis und dem Integrationspreis „Wissenschaft ohne Barrieren“.

Trotz allem stand die Zukunft des Zedis mehr als ein Jahr lang in Frage. Seit der Gründung 2005 war das Institut an der Uni Hamburg ansässig, finanziert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und der Wissenschaftsbehörde. Die Universität trug die Kosten für Räume und Personal. Im Februar 2013 kündigte die Hochschulleitung an, die Förderung nicht fortzusetzen. Die Begründung: Das Ziel, die Schaffung eines eigenen Studiengangs, sei gescheitert. Aber auch mit seiner „unbequemen“ Art hat sich das Zedis in der Uni nicht nur Freunde gemacht: Das Zentrum hatte die Hochschule mehrfach öffentlich für ihre mangelnden Integrationsbemühungen kritisiert. Beispielsweise sind viele Hörsäle nicht barrierefrei und gehörlosen Studierenden stehen kaum Gebärdendolmetscher zur Verfügung.

Der neue Projektträger, die Evangelische Hochschule, hatte sich dagegen bei der Stadt für das Fortbestehen des Zedis eingesetzt und Interesse an einer Übernahme signalisiert. Endsprechend froh ist man nun über die Rettung. „Zwischen unserem Schwerpunkt auf Sozialer Arbeit und den Themen des Zedis gibt es viele Berührungspunkte. Die Zusammenarbeit ist für beide Seiten ein Gewinn“, sagt Hochschulrektor Andreas Theurich.

Am Anfang der Kooperation will man aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. So sollen die Zedis-Mitarbeiter von Anfang an stärker in den Hochschulalltag eingebunden werden. In den vergangenen Wochen haben Bollag und ihre Kollegen intensiv mit der Hochschulleitung über die zukünftige Ausrichtung gesprochen. Die Pläne sind ambitioniert: Ihre Themen sollen nicht nur in das Studienangebot integriert werden. Mittelfristig will das Institut hochschulübergreifender als bisher arbeiten. Auch an den gesellschaftlichen Diskussionen um Inklusion in Hamburg will man sich deutlicher beteiligen. „Unser Ziel ist es, Nachhaltigkeit für die Arbeit des Zedis zu schaffen und damit die Zukunft auch über die nächsten drei Jahre hinaus zu sichern“, sagt Theurich.

Gesellschaftliche Debatten, an denen sich das Institut beteiligen kann und die sein Bestehen rechtfertigen, gibt es genug, wie Bollag erklärt: „Das Thema Behinderung geht alle etwas an.“ Es beginnt bei der Inklusion in der Schule und endet bei den Fragen einer älter werdenden Gesellschaft.

Zurzeit läuft eine öffentliche Ringvorlesung des Zedis: Behinderung ohne Behinderte!?

18. Juni: Eine Mitte für Alle – Inklusion bewegt Stadtplanung. 25. Juni: Inklusion und Anerkennung. 2. Juli: Deaf Studies in Disability Studies und Disability Studies in Deaf Studies. 9. Juli: Inklusion – neues Paradigma der Gleichstellungsarbeit (jeweils von 16.30 bis 18 Uhr).

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