Musik in der Dunkelkammer

SCHWARZE KLÄNGE In der Konzertinszenierung „Into the dark“ schickt die Regisseurin Sabrina Hölzer ein Streichensemble in die totale Finsternis

Einmal erschrecke ich regelrecht, als direkt neben meinem Ohr ein Cello ertönt

So ganz absolut dunkel ist es ja im Leben der meisten Menschen nie. Völlige Dunkelheit in natürlicher Erscheinungsform findet man höchstens im Innern einer tiefen, tiefen Höhle oder ganz weit unten im Meer; an Orten mithin, an die sich die meisten von uns nie freiwillig begeben würden. Dunkelhaft ist eine traditionsreiche, beliebte Foltermethode. Doch es geht natürlich auch anders. Die Regisseurin Sabrina Hölzer hat sich zusammen mit dem Solistenensemble Kaleidoskop aufgemacht, die Dunkelheit neu zu entdecken als Rezeptionsort.

In einem fensterlosen Aufnahmesaal des Funkhauses Nalepastraße sind 56 bequeme Liegen aufgebaut, auf denen die Zuhörer dieses besonderen Konzerts Platz nehmen sollen. Der Schuhe hat man sich vorher entledigen müssen, dafür aber Socken bekommen, um die Körperwärme konstant zu halten. Taschen und andere Gegenstände sind von strengen Garderobieren beschlagnahmt worden, damit nichts dabei ist, das unbemerkt herunterfallen könnte.

Blinde Guides assistieren

Denn die MusikerInnen sind mit ihren Instrumenten im Stockfinstern zwischen den Liegen unterwegs, ohne optische Hilfsmittel, assistiert nur von den zwei blinden Guides Jessica Hüffner und Silja Korn. Das alles wissen wir allerdings noch gar nicht so genau – denn ein Programm gibt es erst hinterher –, wie wir so daliegen und das Licht langsam schwächer wird. Dann ist es schwarz.

Bevor der erste Ton erklingt, hat man genügend Zeit, sich darüber zu wundern, dass auch in absoluter Dunkelheit immer noch Lichtpunkte in kleinen Wölkchen vor den Augen dahinziehen. Ob das normal ist oder bereits ein Anzeichen von körperlichem Verfall? Als dann nach ein paar Minuten in Schwärze und Stille erste einzelne Saiten erklingen, ist es tatsächlich fast so, als würde der Klang organisch aus dem Nichts wachsen, als würden die einzelnen Instrumente einander im Dunkeln suchen, sich mit langgehaltenen Tönen gegenseitig Zeichen geben, bis sie irgendwann zusammenfinden – räumlich und akustisch.

Da man kein Programmheft zu Rate ziehen kann, was man wohl gerade hört, ist man frei, sich voraussetzungslos zu entspannen und, fast mehr als auf die Musik selbst, sich darauf zu konzentrieren, von wo sie gerade kommt. Denn die Streicher befinden sich zwischen ihren Einsätzen permanent in Bewegung. Erstaunlich lautlos geht das vor sich, so dass ich einmal regelrecht erschrecke, als direkt neben meinem Ohr ein Cello ertönt.

Im übrigen aber ist es schwer, die Klänge ohne optische Unterstützung räumlich zu orten. Von meiner Randposition aus spielt das Gros des Ensembles meist „irgendwo da hinten“. Eine Liege in Mittellage wäre wahrscheinlich günstiger gewesen, um die räumlichen Feinheiten der Inszenierung besser zu würdigen. Gemütlich genug aber ist es überall. Manche Teile des Publikums entspannen sich in den leiseren Passagen gar so sehr, dass sich immer wieder sanfte Schnarchgeräusche in die Musik mischen.

Die MusikerInnen spielen sich durch ein ambitioniertes Programm aus zeitgenössischen Kompositionen, versetzt mit ein klein wenig Mozart. Dass sie ihre Instrumente tatsächlich blind beherrschen, kann man nach diesem Abend voller Bewunderung attestieren.

Hörbares Anzeichen dafür, dass hier tatsächlich Menschen am Werke sind, bieten nur die lauten Einatmer, sonst im Konzert streng verboten, mit denen durch den dunklen Raum hindurch der gemeinsame Einsatz gewährleistet bleibt. Damit aber haben sie sich ohnehin als irdische Wesen entlarvt und hätten am Schluss ruhig noch dableiben können, um sich den verdienten Applaus abzuholen, statt geistergleich einfach zu verschwinden.KATHARINA GRANZIN

■ Bis 8. Januar, Funkhaus Berlin Nalepastraße, 20 h