Avantgardist, ermattet

KAMMEROPERN Zwei Spätwerke George Antheils in Lübeck

Was hatte er sich nicht alles vorgenommen: Die „Zerstörung der Musik“ kündigte George Antheil 1925 an. Da wollte der 25-jährige Ex-Konzertpianist die epochemachende Prosa James Joyce’ vertonen – spektakulär-modernistisch: „Enorme Phonographen mit Verstärkung. Neue Musikmaschinen. Der ‚Sacre du printemps’ der Zukunft.“

Aus dem „Ulysses“-Projekt wurde nichts, wie aus so manchem Vorhaben Antheils. Mit seinem „Ballet mécanique“ aber verschaffte sich der Amerikaner in Europa den Ruf als musikalischer Futurist, ja, Terrorist: Begleitmusik für einen Experimentalfilm, gespielt von automatischen und „normalen“ Pianos, Xylofon, Glocke, Schiffssirene und Flugzeugpropeller. Ende der 1920er-Jahre galt Antheil manchem Kollegen als Erster einer Art, der das Morgen gehöre.

Warum ist Antheil, 1959 verstorben, keine Lichtgestalt des Modernismus? Es gibt unter der Handvoll derer, die sich mit ihm befasst haben, die These, der späte Antheil habe den frühen verschwinden lassen. Demnach überschattet die gezähmte, fürs Funktionale offene Musik – Geld brachten ihm ja auch Auftragsarbeiten für Hollywood –, was der junge Antheil versprochen hatte.

Ein wenig lässt sich das nun in Lübeck überprüfen, wo Theater und Musikhochschule eine neue Kooperation jetzt mit der gemeinsamen Produktion zweier später Kammeropern beginnen: „The Brothers“ (1954) ist eine inhaltlich ambitionierte, pessimistische Variation des Kain-und-Abel-Stoffes im Milieu proletarischer Korea-Kriegsheimkehrer. Einen maximalen Kontrast dazu setzt „Venus in Africa“, zur selben Zeit entstanden: eine burleske kleine Beziehungsgeschichte, nicht ganz frei von orientalistischer Projektion.

Hier wie dort scheint Antheils Avantgarde-Erbe noch auf – denkbar weit entfernt von irgendeiner Programmatik. Hier spielt einer mit dem Regelverstoß nur noch so, wie er auch Jazz neben Romantik-Schwere setzt. Nein, hier droht keiner Musik die Zerstörung. Sie macht allenfalls einen Mittagsschlaf, in südlicher Hitze.  ALDI

■ Sa, 7. 6., sowie 11. + 19. 6., jeweils 20 Uhr, Theater Lübeck, Kammerspiele