Kein Rio nach Fifa-Standard

WIDERSTAND Überall in Brasilien organisieren WM-kritische Volkskomitees Proteste und Aufklärung über die Folgen einer verfehlten Stadtpolitik

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■ Wie alle Volkskomitees informieren sie vor Ort, demonstrieren und organisieren alternative Public Viewings. Wenn Sie möchten, spendet die taz dieser Initiative 10 Euro pro Abo. Bestellen kann man es unter taz.de/wm-abo.

AUS RIO DE JANEIRO ANDREAS BEHN

„Gegen WM nach Fifa-Standard und verfehlte Stadtpolitik!“ – der Leitspruch unzähliger Demonstrationen gegen das Fifa-Spektakel ist die Vision der WM-kritischen Komitees in Brasilien. Es geht nicht um das „Für oder gegen Fußball“. Es geht um das Modell der Stadtentwicklung, das diese Art sportlicher Großveranstaltung vorschreibt und dabei Menschenrechte, soziale und wirtschaftliche Rechte und vor allem das Recht auf eine menschenwürdige Stadt verletzt.

Besonders betroffen ist Rio de Janeiro, wo zwei Jahre nach der WM auch noch Olympische Spiele anstehen. Dort nennt sich die Aktivistengruppe „Comitê Popular da Copa e das Olimpíadas“. Auch in den anderen elf WM-Austragungsstädten gibt es Komitees, jeweils autonom organisiert und auf nationaler Ebene in der ANCOP (Articulação Nacional dos Comitês Populares da Copa) zusammengeschlossen.

Die meisten Komitees gründeten sich 2011, so auch in Rio. Die Stadt war schon immer von Vertreibungen Unerwünschter aus den strandnahen Touristenvierteln gekennzeichnet, Individualverkehr war immer wichtiger als der öffentliche. Kurz vor der Komiteegründung hatte das Urbane Weltsozialforum stattgefunden, wo darüber diskutiert wurde, wie Städte demokratisch verwaltet und menschenwürdig auch für die weniger Reichen gestaltet werden können.

Als die Baumaßnahmen für die WM Fahrt aufnahmen, rief die immer breitere urbane Bewegung das Komitee ins Leben. Federführend waren organisierte Obdachlose, Studenten und Akademiker aus dem Bereich Stadtplanung sowie NGOs. In dem Maß, wie mehr Menschen von der Stadtumstrukturierung betroffen waren, kamen weitere Gruppen hinzu: ambulante Händler, Sportler, deren Trainingsstätten den schicken Stadien weichen mussten, und vor allem von Räumung bedrohte Menschen aus den Armenvierteln. Oft organisierte das Komitee Besuche in den Gemeinden und nahm durch Lobby- und Öffentlichkeitsarbeit Einfluss auf die Vertreibungspolitik. Mit dabei auch Gewerkschafter, Aktivisten aus linken Parteien und andere soziale Bewegungen.

Anfänglich waren auf den Treffen des Rio-Komitees vielleicht zehn Leute, mittlerweile über 30. Die Basis der Gruppe ist aber groß, vor allem seit den Massendemonstrationen im Juni 2013, durch die die Anliegen der Komitees erst richtig in die Öffentlichkeit drangen. Alle Entscheidungen werden auf dem Plenum getroffen, kollektive Strukturen werden großgeschrieben. Streit über politische Einschätzungen und informelle Hierarchien gibt es immer wieder, doch die Arbeit ist sehr zielstrebig. Derzeit steht Aktionsplanung im Mittelpunkt, von Demonstrationen über alternative Fan-Meilen ohne Fifa-Auflagen bis hin zu Absprachen mit anderen Protestbewegungen wie etwa den Lehrern, die immer wieder für eine Bildungsreform streiken. Seit Anfang April werden in Rio auch stadtweite Plena einberufen, damit alle, die während der WM auf die Straße gehen wollen, mitbestimmen können.

Und: Die Komitees erstellen lokale und landesweite Dossiers über die Folgen der verfehlten Stadtplanung. Darin geht es um die oft fadenscheinigen Gründe für Vertreibungen, die Zahl derjenigen, die in abgelegene Stadtviertel umgesiedelt wurden, um Verkehrsplanung, Arbeitsbedingungen, Geldverschwendung, Breitensport und öffentliche Sicherheit. Die zumeist gewissenhaft recherchierten Dossiers zeigen die dramatischen Folgen, die Fifa-Vorgaben im Einklang mit korrupter konservativer Politik für die Stadtentwicklung haben.

  www.rio.portalpopulardacopa.org.br ■   www.facebook.com/ComitePopularCopaRJ?fref=nf ■  www.portalpopulardacopa.org. br