Wo sind all die Zahnputzbecher?

Willkommen in der EU: Bulgarien. Das Mutterland des Suffs geht seinen Weg

Schluckspecht und Schnapsdrossel stehen schon lange unter Artenschutz

In Europa haben mehr und mehr die Weicheier das Sagen: Rauchverbote, an die sich sogar Italiener halten. Italiener! Die Franzosen haben plötzlich das Cholesterin entdeckt. Und irgendein Gesundheitskommissar denkt laut über Alkoholprobleme nach – leider nicht über seine eigenen. Dabei sind doch die meisten europäischen Vereinigungen nur unter Zuhilfenahme alkoholischer Getränke zustande gekommen. Alkohol hat die Mitglieder der EU stets zu Höchstleistungen angespornt, sogar die Bewohner von Mecklenburg-Vorpommern dürfen dabei mal glänzen, wenn sie zum Beispiel den bundesweiten Rekord von 16 Liter reinen Alkohol per anno aufstellen, ganze vier Liter über dem Mittelwert – und dann kommen ja noch die ganzen Getränke hinzu!

Bislang hatten die Europäer, was den Alkoholkonsum anbelangt, weltweit die Nase vorn, noch vor den USA, ganz zu schweigen von den trockenen arabischen Staaten. Edle Tropfen in Nuss zwischen Hammerfest und Palermo. Die Notierungen im Einzelnen: Im Norden der britischen Insel beispielsweise haben 51 Prozent der Bevölkerung nach Einbruch der Dunkelheit hundertpro die Schotten dicht, in Wales übertrifft die Promillezahl pro Kopf häufig sogar den IQ. Unangefochten sind freilich die Iren: 40 Prozent des Haushaltes werden über die Alkoholsteuer finanziert, obwohl die Höchstgrenze für Alkohol am Steuer auf 2,4 Promille gesenkt wurde.

Die Batterien, die Nordeuropa am Laufen halten, sind Batterien von Flaschen. In Schweden und Norwegen ist in entlegenen Regionen polaren Zuschnitts Volltrunkenheit nur mit Hilfe des Fernstudiums möglich. Jetzt aber droht dank fanatischer Blaukreuzler das alkoholische Gleichgewicht zu kippen.

Umso erfreulicher, dass mit Bulgarien wieder ein Land zur EU stößt, in der alte Werte, sprich: Promille, noch etwas gelten, ein Land aus einem Kulturkreis, in dem der Begriff Wodka stets mit dem Begriff „Zahnputzbecher“ einhergeht, selbstverständlich ein Klischee, aber das Tröstliche an Klischees ist ja, dass sie häufig zutreffen.

Laut Angaben des bulgarischen Alkoholikerfachmagazins Sturznajev Besoffskov leben die meisten Promillionäre im Großraum Plovdiv: Dort finanzieren sich die Trinkerheilanstalten selbst über die Pfandflaschenrückgabe. Schluckspecht und Schnapsdrossel stehen in Bulgarien schon lange unter Artenschutz. Bulgarien mag ein streng orthodoxes Land sein, in seinen Trinkgewohnheiten ist es eher unorthodox. Gerade mal so groß wie Baden-Württemberg und Bayern zusammen, braucht man sich hinter den Bayern nicht zu verstecken, die auf der Wiesn längst alkoholfreies Weizen ausschenken. In Sofia wäre das undenkbar. Da lauscht man bei Volksfesten diesen 40 bulgarischen Stimmen und trägt dazu gern Trachten und später am Abend auch handfeste Auseinandersetzungen aus, wobei dann gern auf die Tracht Prügel zurückgegriffen wird, einer Vorstufe zum vergifteten Regenschirm. Bulgarien, willkommonov! Für viele Beitrittskommissare brechen goldene Zeiten an, schließlich sind sie im Zuge der Verhandlungen überraschenderweise zu wunderschönen Datschen an der Schwarzgeldküste gelangt. Die könnten wir auch gebrauchen. Haben die Deutschen doch mit den Bulgaren noch eine Rechnung offen, nach der 1:2-Niederlage bei der WM 1994 in den USA. Mit der Installation einer Wodka-Steigleitung und einer neuerlichen Verpackung des Reichstages von Herrn Christo, diesmal als Dauerlösung, würden wir uns aber besänftigen lassen. Was fehlt: der Beitritt der Ukraine, damit in Europa das Gleichgewicht wieder hergestellt wird, alkoholisch gesehen.

THOMAS C. BREUER