Opposition verspricht zivilen Ungehorsam

Hunderttausende protestieren in Beirut erneut gegen Libanons Regierungschef Siniora. Hisbollah und Amal wollen Aktionen in den kommenden Tagen ausweiten und öffentliche Verwaltungen blockieren. Streit um UN-Tribunal zum Hariri-Mord

VON KARIM EL-GAWHARY

Einen Wendepunkt hat die libanesische Opposition am Sonntag versprochen, als erneut hunderttausende Libanesen im Zentrum Beirut zusammenströmten und zum Sturz der Regierung Siniora aufriefen. Am zehnten Tag ihrer Proteste kündigte die Opposition aus Hisbollah, der schiitischen Amal-Bewegung und der „Freien Patriotischen Front“ des christlichen Politikers Michel Aoun für die nächsten Tage Aktionen des zivilen Ungehorsams an, ohne diese genau zu definieren.

Aus Kreisen des Koordinationskomitees der Proteste wird davon gesprochen, dann alle staatlichen Institutionen zu blockieren, darunter den Flughafen, den Hafen von Beirut und alle öffentlichen Verwaltungen. Die Rede ist auch davon, Hauptstraßen zu blockieren.

„Lass dein Theaterspiel im Regierungsgebäude, kremple die Ärmel hoch und komm runter auf die Straße“, forderte der Hisbollah-Hauptredner und Vize der Schiitenorganisation, Naim Qassem, den Premier Fuad Siniora auf und warf ihm vor, im Interesse der USA und nicht des Libanon zu agieren.

„Wir haben das Recht zu friedlichen Protesten, genauso wie es in der Ukraine und Serbien geschehen ist“, erklärte der christliche Politiker Michel Aoun in einer Rede im Anschluss. „Der Wechsel naht“ oder „Wir wollen vertreten sein“ war unter anderem auf den Plakaten der Demonstranten zu lesen.

Wie polarisiert die Lage im Libanon ist, zeigte ein fast zeitgleiches Treffen einiger Regierungsanhänger unweit der Massenproteste im Redaktionsgebäude der regierungsnahen Tageszeitung An-Nahar. Sie hatten sich dort versammelt, um des Todes des antisyrischen Publizisten Gebran Tuenis zu gedenken, der genau vor einem Jahr in Beirut ermordet worden war. Das antisyrische Lager macht Damaskus für den Mord verantwortlich. „Wir fühlen uns belagert, aber wir werden uns dem syrischen und iranischen Einfluss entgegenstellen, um unsere Demokratie zu verteidigen“, erklärte der Kommunikationsminister Marwan Hamadi auf der Veranstaltung trotzig. Zuvor hatte Siniora, der wegen der Proteste seit mehr als einer Woche mit mehreren Ministern im Regierungssitz ausharrt, dem Hisbollah-Chef Nasrallah vorgeworfen, einen Staatsstreich anzuleiern.

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hat sich mit den von ihm initiierten Massenprotesten zum Sturz der Regierung Siniora ein wenig selbst in eine politische Zwickmühle manövriert. Er kann die Proteste schlecht zurückpfeifen, bevor er sein Ziel einer „Regierung der Nationalen Einheit“ mit einer größeren Beteiligung der Hisbollah und ihrer Verbündeten oder Neuwahlen erreicht hat. Gleichzeitig riskiert er einen Bürgerkrieg, wenn er die Protestschraube weiter anzieht. Der Konflikt im Libanon entwickelt sich auch entlang konfessioneller Linien, die bereits schon einmal zu einem blutigen, 15-jährigen Bürgerkrieg geführt hatten. Die meisten Sunniten und Drusen unterstützen die Regierung, die Schiiten die Opposition und die Christen sind zwischen beiden Lagern gespalten.

Einer der Streitpunkte dem zwischen prosyrischen und dem antisyrischen Lager ist das UN-Tribunal zur Aufklärung des Mordes an dem ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri. Der libanesische Präsident Émile Lahoud hat dem Tribunal am Wochenende offiziell eine Absage erteilt. Zuvor hatte das Kabinett des Ministerpräsidenten Siniora ein internationales Gericht befürwortet. Der prosyrische Lahoud hatte das Kabinett aber für verfassungswidrig erklärt, nachdem sechs Minister der Opposition zurückgetreten sind. Theoretisch kann der UN-Sicherheitsrat das Tribunal auch ohne libanesische Zustimmung ins Leben rufen.