Zwangsobduktion wird kommen

KINDERSCHUTZ Nach langer Beratung befürwortet der Rechtsausschuss die Obduktionspflicht bei Kleinkindern. Eine Richtlinie soll Betreuung für die Angehörigen gewährleisten

Der Rechtsausschuss will, dass Organe nicht ohne Einverständnis der Eltern entnommen werden dürfen

von TERESA HAVLICEK

Für die Einführung einer Obduktionspflicht für Kinder, die ohne erkennbare Ursache gestorben sind, hat sich der Rechtsausschuss der Bürgerschaft jetzt ausgesprochen. Damit ist nach fast einjähriger Kontroverse der Weg frei für den Vorstoß von Sozialsenatorin Ingelore Rosenkötter (SPD): Noch in dieser Legislaturperiode wird die Bürgerschaft die entsprechende Änderung des „Gesetzes über das Leichenwesen“ aller Voraussicht nach verabschieden.

Ein halbes Jahr lang hat der Rechtsausschuss Ärzte, Kriminologen, Kirchenvertreter, Kinderschützer, Seelsorger und Elternvertreter zu den Plänen angehört, künftig bei allen Todesfällen von Kindern bis sechs Jahre regelhaft zu obduzieren. Ausgenommen werden sollen Kinder mit schweren Vorerkrankungen oder Unfallopfer. Dienen soll das laut Sozialsenatorin Rosenkötter dem „Kinderschutz“: Die Dunkelziffer bei Kindstötungen sei hoch, Tod durch Schütteltraumata oder Ersticken seien ohne innere Leichenschau kaum nachzuweisen. Die Aufklärung der Todesursache könne abschrecken und Geschwisterkinder schützen, so ihre Argumentation.

Einziger Kompromissvorschlag, den der Ausschuss zu dem umstrittenen Vorhaben jetzt vorgelegt hat: Der Senat soll gemeinsam mit Ärzten, Elternvereinen und Seelsorgern eine verbindliche „Durchführungsrichtlinie“ erarbeiten, die unter anderem festschreibt, dass betroffene Familien psychosoziale Betreuung erhalten. Zudem sollen dem Leichnam ohne Einverständnis der Eltern keine Organe zu Forschungszwecken entnommen werden dürfen und der Leichnam soll nach der Obduktion so geschlossen werden, dass sein Anblick „Angehörige nicht noch weiter belastet“.

Ausräumen kann das die Kritik allerdings nicht: Eine Richtlinie zur Umsetzung sei „das Mindeste“, erklärt etwa Andreas Bröcher, Geschäftsführer des Bremer Landesverbandes des Deutschen Kinderschutzbundes. „Unter Generalverdacht“ würden Angehörige durch die Zwangsobduktion gestellt, „nicht notwenig“ sei sie angesichts der jetzigen Rechtslage. Ähnlich äußert sich der „Verein für verwaiste Eltern und Geschwister“, der eine „zusätzliche traumatische Belastung“ der trauernden Angehörigen befürchtet.

Bislang entscheiden die Eltern, ob sie ihr verstorbenes Kind obduzieren lassen wollen oder aber die Ärzte schalten bei unklarer Todesursache die Staatsanwaltschaft ein. Die entscheidet dann im Verdachtsfall über eine Obduktion. In Bremen hat sie das nach eigenen Angaben bisher – ohne gesetzliche Pflicht – „bei 100 Prozent aller gemeldeten Fälle“ getan.

Die Gegner im politischen Raum haben die Anhörungen indes weitgehend umgestimmt: Vor allem bei den Grünen gab es – im Senat wie in der Fraktion – ethische Bedenken, ob eine Obduktion auch ohne Verdachtsmomente zur Pflicht werden soll. Mittlerweile aber sei man mehrheitlich dafür, erklärt der Grünen-Rechtspolitiker Horst Frehe. „Nach den Anhörungen“, sagt er, „sehen wir es eher als Entlastung der Eltern, wenn die Todesursache ihres Kindes ermittelt wird, ohne dass sie ihre Einwilligung abgeben müssen oder die Staatsanwaltschaft dies anordnet.“

Einzig die vier Abgeordneten der FDP haben angekündigt, gegen die Zwangsobduktion zu votieren: „Es geht hier um sehr wenige Fälle“, sagt FDPler Oliver Möllenstädt, „da halten wir es für machbar, weiterhin für jeden Einzelfall zu entscheiden.“ 2008 hätte eine Obduktionspflicht laut Statistischem Landesamt bei vier von 37 verstorbenen Kindern unter sechs Jahren gegriffen.