„Die Jungen sind die Mitträger“

BLICK IN DIE ZUKUNFT Ben Wagin (80) will unbedingt noch zehn Jahre durchhalten. Dann werden die von ihm gepflanzten Ginkgo-Bäume geschlechtsreif

■  Mit dem Jahreswechsel hat auch ein neues Jahrzehnt begonnen. Die taz nimmt das zum Anlass, gleich zehn Jahre vorauszuschauen. Wie wird Berlin sein im Jahr 2020? Wie wird sich die Stadt entwickeln? Wie und wo wird man wohnen? Werden wir von Touristen überrollt? Wird sich die Arbeit ohne Industrie ändern? Was wird aus den Bürgerbewegungen? Und was aus dem Verkehr?

■  Die taz hat sich umgeschaut, Experten gefragt – und ganz normale Berliner. In der Spalte erzählt jeweils ein Mensch aus jedem Jahrzehnt, was er oder sie sich von der Zukunft erhofft. Ganz einfach ist so ein Ausblick in die Zukunft nie. Das zeigt auch unsere kleine Auswahl von Berlin-Utopien aus verschiedenen Zeiten, mit denen wir unsere Serie bebildern. (taz)

In zehn Jahren wäre ich 90. Es würde mich freuen, wenn ich da noch leben würde. Vielleicht halte ich auch noch länger durch. Zumindest so lange, bis einige der Dinge, die ich angestoßen habe, fertig sind. Ich versuche mit der begrenzten Lebensstruktur, die in meinem Körper steckt, sorgfältig umzugehen, um funktionsfähig zu bleiben. Ich rauche nicht und ich trinke keinen Alkohol. Das habe ich noch nie getan. Eine Kerze steckt man ja auch nicht von beiden Seiten an.

Es gibt ein altes afrikanisches Sprichwort: Man sollte versuchen, den Satz zu Ende zu formulieren. Und da fehlen mir noch fünf Buchstaben. Ein A, ein B, ein S, ein T und ein U. Ergibt: Staub. Da bin ich dran, diese Buchstaben in eine Form zu bringen.

Es gibt viele Bäume, die mit 80 ihre Zeit hatten. Man nehme eine Birke oder eine Pappel. Eichen und Buchen können dagegen mehere hundert Jahre alt werden. Es gibt sogar welche, die bringen es auf einen Tausender. In Spandau steht so ein Baum, den habe ich oft besucht. Ohne die 80-, 90-jährigen Bäume würden es die Alten aber nicht schaffen. Die Jungen sind die Mitträger für das erweiterte Alter der Vegetation. Ohne die Kompostierung könnten die anderen nicht so alt werden. Sie gehören mit zu dieser Lebensgemeinschaft. Das ist auch die Botschaft des Parlaments der Bäume, das ich in Berlin geschaffen habe. Das ist die große Leinwand für mich.

Ich möchte in den nächsten zehn Jahren mittragen, was in dieser Stadt möglich und unmöglich ist. Diese Kraft möchte ich aufbringen. In zehn Jahren wird die zweite Generation meiner Kinder, die ich als Samen in die Erde gebracht habe, flügge. Meine Ginkgobäume. Sie werden sehr spät geschlechtsreif – erst so mit 30, 35 Jahren. Dann wird man sehen, ob sie Männchen oder Weibchen geworden sind. Und wenn jemand behauptet, die Weibchen stinken, werde ich böse. Wer das sagt, hat diese köstliche Frucht nie gekostet. Nicht umsonst ist sie in Asien ein Hochzeitsgeschenk. In zehn Jahren setzen wir das Gespräch fort – abgemacht?

„Es gibt sogar Bäume, die bringen es auf einen Tausender“

Ich verspreche, dass ich dann noch da bin. Aber die taz muss auch versprechen, dass sie dann noch existiert.PROTOKOLL: PLUTONIA PLARRE Foto: Dagmar Morath

■ Ben Wagin ist Baumpate, Aktionskünstler. Maler und Bildhauer. Er wurde 1930 in Posen geboren