DIE ACHSE DER DÜSSELDORFER VON TIM CASPAR BOEHME

Verzerrtes Afrika

Düsseldorf schien in den letzten Jahren seinen Status als Vorreiter-Stadt in Sachen Musik nur noch aus der Retrospektive behaupten zu können, zu lange zurück lagen die Impulse, die einst vom Rhein aus in Gestalt von Bands wie Kraftwerk, Neu!, Fehlfarben oder DAF in die Welt, zumindest aber weit über die Stadtgrenzen hinaus strahlten. Heute sieht das wieder anders aus. Ganz vorne mit dabei mischt Stefan Schwander, den man seit den Neunzigern unter dem Namen Antonelli Electr. kennt. Gegenwärtig macht er als Harmonious Thelonious von sich reden, sein Debütalbum „Talking“ kann man bedenkenlos als visionär bezeichnen, auch wenn es heutzutage etwas schwierig geworden ist, die ganz große Revolution loszutreten. Im Grunde ist die Formel für den harmonischen Thelonious recht schlicht: Man nehme ein paar Samples afrikanischer Musik, schichte sie im Stil der Minimal Music Steve Reichs zu Loops, jage alles durch den Verzerrer und beobachte, wie sich Oberton- und Rhythmusverhältnisse allmählich verschieben. Das Ergebnis kann sich hören lassen, Sogwirkung ist garantiert. Aus Schwanders konsequent unkitschigem Umgang mit ethnischen Elementen entsteht nichts Geringeres als eine so idiosynkratische wie tanzbare Clubmusik.

■ Harmoninous Thelonious: „Talking“ (Italic)

Verspultes Klavier

Die Düsseldorfer Bechstein-Vertretung residiert, dem Berliner Beispiel folgend, seit einigen Jahren im Gebäude des Designkaufhauses „stilwerk“. Diese eher aseptischen Räume wählten sich der Düsseldorfer Stefan Schneider – bekannt als Bassist der Band To Rococo Rot bzw. solo als Mapstation – und der schottische Multiinstrumentalist Bill Wells als Ort für ihr Projekt „Pianotapes“. Die Zuständigkeiten bei dieser Zusammenarbeit waren klar geregelt: Wells bediente das Klavier, Schneider die beiden Tonbänder. Aufgenommen wurde das, was aus dem Klavier erklang, dann spielte Schneider die Bänder mit veränderter Geschwindigkeit wieder ab, worüber Wells erneut improvisierte. Das Verfahren ist nicht wirklich neu: Brian Eno machte schon in den Siebzigern so etwas Ähnliches mit dem Gitarristen Robert Fripp. Doch während Fripp und Eno frühe Drone-Musik-Versuche unternahmen, bewegen sich Wells und Schneider auf zerbrechlicherem Boden. Die bearbeiteten Klänge schweben sacht im Raum, verdichten sich, zerfallen wieder, ohne sich auf einen einzelnen Tonfall festzulegen. Von kindlich-klarer Verträumtheit bis zu dunklem Dräuen reicht die Farbpalette dieser elektroakustischen Kammermusik, die intim und distanziert zugleich wirkt.

■ Bill Wells & Stefan Schneider: „Pianotapes“ (Karaoke Kalk)

Verschachtelte Fliehkräfte

Plötzlich ist das Klavier nicht mehr da. Jedenfalls hört man es nur noch selten. Volker Bertelmann, der als Hauschka dem – mit Alltagsobjekten klanglich veränderten – „prepared piano“ ein neues Publikum erschlossen hat, zieht sich auf seinem aktuellen Album als Pianist fast vollständig zurück. Stattdessen hat der Wahldüsseldorfer Miniaturen für ein zwölfköpfiges Ensemble aus Streichern und Bläsern komponiert. Und die spielen auf naturbelassenen Instrumenten – brav nach Noten, versteht sich. Auch das ist neu, bisher entstanden Hauschka-Tastenpräparate schließlich streng beim Improvisieren. Nach Bertelmanns Handschrift klingt „Foreign Landscapes“ trotzdem. Als Ersatz für die leicht knorrig-schepprigen Klavierklänge spielen die Musiker des Magik Magik Orchestra ihre Instrumente mit angemessener Schroffheit. Eine Hochglanz-Klassik-Produktion hört sich anders an. Vor allem aber sind es die unauffällig ineinander geschachtelten Polyrhythmen, bei denen unterschiedliche Taktmaße gerade mal so friedlich nebeneinander existieren, dass musikalische Fliehkräfte entstehen können, die für reichlich Spannung ohne Nebenwirkungen sorgen. Das macht Bertelmann keiner so leicht nach, ob er nun die eigenen Finger mit im Spiel hat oder nicht.

■ Hauschka: „Foreign Landscapes“ (FatCat)