Von der Schönheit des 18. Jahrhunderts

Vor zehn Jahren hat Matthias Wehrhahn den gleichnamigen Verlag im niedersächsischen Laatzen gegründet. Der hat sich der Aufklärung verschrieben – und wurde kürzlich mit dem niedersächsischen Verlagspreis ausgezeichnet

„Ja“, sagt Matthias Wehrhahn. „Das fragen mich alle.“ Aber seit einem Vierteljahr kann er dann antworten: „Ja, ich kann davon leben.“ Von einem Ein-Mann-Verlag, dessen Schwerpunkt auf der geisteswissenschaftlichen Erforschung des 18. Jahrhunderts liegt. Kürzlich, bei der Verleihung des niedersächsischen Verlagspreises, hat der Kulturminister den Verlag einen „Persönlichkeitsverlag reinster und bester Prägung“ genannt und damit wollte er wohl genau das würdigen: die Eigenständigkeit, das zu verlegen, was man für verlegenswert hält.

Dabei sind Wehrmann Verkaufszahlen keineswegs gleichgültig. „Ich will abgelegene Bücher machen“, sagt er. „Aber sie sollen nicht wie Blei liegen bleiben.“ Schließlich will der 43-Jährige eine fünf-köpfige Familie ernähren. Als er mit dem Verlegen begann, war das noch anders: Wehrhahn war Student der Politologie und der Germanistik, sah wenig Aussicht, bei einem Praktikum viel übers Büchermachen zu lernen und gründete statt dessen gemeinsam mit dem Kommilitonen Arne Drews den „Revonnah Verlag“ in Hannover.

Revonnah, das ist Hannover rückwärts gelesen und vom Dadaisten Kurt Schwitters erdacht, um zu zeigen, dass Hannover durchaus vorwärts gewandt sei: Denn „Revonnah“, das bedeute vorwärts nach weit.

Das ist ein bisschen umständlich zu verstehen, aber der Verlag wird, wenn nicht unbedingt zur Geldquelle, so doch zu etwas, was weit über einen Praktikumsplatz hinausgeht. Doch 1996 ist klar, dass die Arbeitsweisen der beiden Verleger sich unterscheiden, so sehr, dass Matthias Wehrhahn den „Revonnah“ verlässt und den Wehrhahn-Verlag gründet. Zu Beginn hat er ein Promotionsstipendium, aber bald wird klar, dass neben dem Verlag keine Promotion gedeihen kann. Stattdessen wird Wehrhahn zehn Jahre lang Brotjobs ausüben: Sei es bei der Post, in einer Bibliothek oder als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität.

In seinem Verlag erscheinen zunächst vor allem Texte aus dem 18. Jahrhundert. Die Reihe heißt nicht von ungefähr „Fundstücke“, denn es sind Funde aus Archiven, sei es von Wehrhahn selbst gemacht oder von Literaturwissenschaftlern, die sie ihm antragen. Einer der ersten Texte ist Christoph Meiners Schrift „Ueber die Natur der Afrikanischen Neger“ aus dem Jahr 1790, die sich – letztendlich abschlägig – mit der Frage befasst, ob Afrikanern und Europäern die gleichen Rechte zuzubilligen seien. Das Buch wird in der Zeit besprochen und verkauft sich relativ gut. Die Käufer, das sind Wehrhahn zufolge „ein eher akademisch vorgebildetes Publikum im weiteren Sinn“. Nicht nur Geisteswissenschaftler, sondern auch Naturwissenschaftler – eben all diejenigen, die seine Ansicht teilen, dass die Aufklärung eine „Sattelzeit“ sei, eine, auf der die Gegenwart geistig aufsitze. Nur eines ist dieses Publikum eher nicht: jung. „Selbst unter den Studierenden gibt es relativ wenig Interesse“, sagt Wehrhahn und klingt zum ersten Mal verhalten.

Neben den Primärtexten sind die wissenschaftlichen Arbeiten immer wichtiger für den Verlag geworden, und so hat Wehrhahn im Moment nicht nur das Kurtagebuch von Johann Christian Kestner im Programm – dem Verlobten von Charlotte Buff, die das Vorbild für Werthers Lotte abgab – sondern auch ein Text über die „Karnevalisierung als Form der Aufklärung“ oder über Abfälle in der Pop-Literatur der 60er Jahre.

Daneben hat Wehrhahn immer wieder literarische Gegenwartstexte verlegt, was sich jedoch als riskante Angelegenheit erwies. Um satirische Texte von AutorInnen wie Fanny Müller oder Hartmut El-Kurdi herauszubringen, fehlte es Wehrhahn an der „Struktur“, wie er es nennt: „Zu viel Arbeit und zu wenig Geld.“ Gegenwartsliteratur verlegt er noch immer – nur weniger Titel. Da ihm das Geld für Verlagsvertreter und die Listung bei Grossisten fehlt, ist er allein auf Empfehlungen angewiesen. Die Buchhändler, so sagt er, winkten ab, wenn Kunden kämen: „Die Bestellung dauert zwei Wochen“, dabei seien es nur zwei Tage. Trotzdem ist Wehrhahn guter Dinge: „Ich will nicht bis in alle Ewigkeit ein Ein-Mann-Verleger bleiben.“ GRÄ