Unter den Augen der kleinen Schwester

In Schleswig-Holstein und Sachsen startete gestern ein Pilotversuch mit der elektronischen Gesundheitskarte. Die steckt allerdings technisch noch in den Kinderschuhen. Selbst die Datenschützer sind bislang entspannt

„Im Notfall kümmere ich mich um den Patienten und fange nicht an, auf dem Computer Karten einzulesen.“

Big Brother ist nicht nach Schleswig-Holstein gezogen, allenfalls seine kleine Schwester. Der Pilotversuch zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, der gestern in Flensburg startete, testet zunächst nur einzelne Anwendungen der für 2008 bundesweit geplanten E-Card.

Laut dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz aus dem Jahr 2004 sollte die Gesundheitskarte schon jetzt in allen Brieftaschen sein. Stattdessen bekommen sie vorerst 10.000 Patienten in Flensburg ausgehändigt. Noch im Dezember startet auch das sächsische Zwickau einen Modellversuch. Auf den jetzigen Karten ist neben den Versicherungsdaten des Patienten dessen Foto sowie die neue Versichertennummer vermerkt. Auf Dauer soll die elektronische Karte die Speicherung von weit mehr Informationen ermöglichen: Zum einen werden Rezepte und Arztbriefe dann nicht mehr auf Papier gedruckt, sondern auf der Karte digitalisiert. Zum anderen können auch Krankendaten der Patienten dort abgelegt werden.

Um den Schutz des Arztgeheimnisses aufrecht zu erhalten, sollen die Patienten selbst darüber entscheiden können, welche medizinischen Informationen sie auf ihrem Chip festhalten wollen. Die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein, Gitta Trauernicht, erklärte gestern, dass das Speichern beispielsweise von Medikamentenlisten die Gefahr von Unverträglichkeiten bei Neuverschreibungen reduziere. „Notfalldaten“ könnten in eiligen Fällen die richtige Behandlung ermöglichen.

Die technische Entwicklung aber hat mit den Plänen nicht Schritt gehalten. Alle Arztpraxen, Kliniken und Apotheken sollen Terminals einrichten, um die Karten einlesen zu können. Darüber hinaus sollen die Patienten selbst Zugang zu Computern bekommen, auf denen sie alle über sich vermerkten Informationen einsehen und auf Wunsch verdecken können. Völlig unklar aber ist, wo diese Computer stehen werden und wer sie finanziert. Der stellvertretende Landesvorsitzende der Ärzteorganisation Hartmannbund in Schleswig-Holstein, Matthias Seusing, warnt, dass schon das Aufstellen der Computer für viele Ärzte unbezahlbar sei: „Wir rechnen mit Kosten zwischen 2.000 und 12.000 Euro pro Praxis.“

Der Verband hält die elektronische Gesundheitskarte zudem für völlig unpraktikabel: Um ein Rezept auszustellen, müsste der Arzt künftig parallel die Karte des Patienten und seine eigene im Computer einlesen. Es sei dann nicht mehr möglich, Rezepte vorher schon per Telefon zu bestellen, sagt Seusing: „Viele alte Menschen aber finden ihre Karte nicht auf Anhieb und brauchen trotzdem ihr Medikament.“ Auch das Argument, dass im Notfall wichtige medizinische Informationen zur Verfügung stünden, überzeugt den Arzt nicht: „Im Notfall kümmere ich mich um den Patienten und fange nicht an, auf dem Computer Karten einzulesen.“

Kritiker hatten im Vorfeld gewarnt, dass die Krankenkassen über die E-Card Einsicht in alle Patientendaten erhielten – was ihnen ermögliche, bestimmte Erkrankungen aus dem Versicherungsschutz auszuschließen. Über den Punkt aber, so Datenschützer Gundermann, sei man bereits hinweg: Seit 2004 bekämen die Kassen die Diagnosen und Behandlungsdaten bereits zur eigenen Verwendung durchgereicht. ELKE SPANNER