30 Jahre Hass

Neues aus der Parallelgesellschaft: Zu Besuch bei einem Hassprediger

„Wissen Sie, was den jungen Leuten heute mangelt? Es ist die Ehrfurcht vor dem Wort“

Karl Dotterweich ist seit mehr als 30 Jahren Hassprediger. Keine einfache Aufgabe und sicher nichts für Zartbesaitete. „Doch irgendjemand“, so Dotterweich während unseres Gesprächs, „muss die Arbeit ja tun.“ Wer also ist der Mann, der hinter all den Aufrufen zu Terror und Gewalt steht? Wer ist der selbsternannte „Moses der verbrannten Erde“, der „Usama von Bamberg“ (Focus), der Tag für Tag gewissenhaft Zorn sät und Aufruhr erntet?

Wir besuchen Dotterweich in seinem kleinen Reihenhaus im Bamberger Bergviertel, das uns mit flottem Siebzigerjahreschick überrascht. Am Eingang verrät eine Fimo-Tafel in bunten Farben die Namen der vierköpfigen Familie. Ein freundlicher Herr um die 50 heißt uns willkommen. „Wollen Sie eine Mohnschnecke?“ Seine Frau Annegret serviert den Tee. „Ganz am Anfang“, so Dotterweich, „da wusste ich nur, ich will predigen. Das war, nachdem ich meinen Job bei Aldi geschmissen hatte.“ Inzwischen haben wir auf der cremefarbenen Couchgarnitur Platz genommen, und Annegret Dotterweich, die uns eine Schale Spekulatius anbietet, ergänzt: „Die haben dann auch ganz schön geguckt wegen der vielen grünen Hass-Bibeln in den Regalen. Gleich neben der Milka hatten wir sie versteckt.“ Ihr Ehemann lächelt. Ja, das sei der Beginn gewesen. Was darauf folgte, waren allerdings entbehrungsreiche Jahre des Lesens, Lernens und der Selbstbescheidung.

Demut habe dazugehört. Und Ehrfurcht. „Wissen Sie, was den jungen Leuten heute mangelt? Es ist die Ehrfurcht vor dem Wort.“ Als er in den frühen Achtzigern an der Zweiten Internationalen Hasspredigermesse in Teheran teilgenommen habe, sei ihm Außerordentliches widerfahren. „Meine ersten zögerlichen Tiraden gegen den Brandt, gesponsert vom konservativen Lager, waren nicht schlecht. Aber es fehlte die Seele. Ganz so wie heute bei diesem Lumpen Stoiber.“ Eine persönliche Begegnung mit dem iranischen Revolutionsführer habe sein Leben verändert. „Verstanden habe ich ihn nicht“, lacht Dotterweich, „ich bin schließlich kein Kameltreiber. Aber die Stimmung über allem, die war beeindruckend.“ Karl Dotterweich kramt ein Foto hervor, das ihn mit Turban und Wasserpfeife zeigt. Neben ihm der Ajatollah, der feixend aus dem Koran rezitiert. „Da ahnte ich: Die Wurzeln des Zorns sind nicht bei der Sozialdemokratie zu finden.“ Übrigens rege er sich immer auf, wenn von Mohammedanern die Rede sei. Das sei blanke Diffamierung, denn eigentlich müsse das Muhammadaner heißen. Wahrscheinlich wieder eine Finte von dem Stoiber, dieser Hyäne. „Mein Gott, und die schönen Kopftücher“, schwärmt Gattin Annegret. Damals also habe er freudig die grüne Fahne des Propheten ergriffen. „Hass zu predigen, ist ja viel sinnvoller, wenn eine Gesinnung dahintersteckt.“ Und während er sich noch über das gelungene Wortspiel freut, geht Dotterweich hart mit dem bayerischen Ministerpräsidenten ins Gericht. „O, der falsche Hund! Versiegelt hat Gott sein Herz und Gehör, und über seinem Augenlicht liegt eine Hülle. Gott schenke ihm grässliche Pein. – Gut, gut, hin und wieder, da merkt man schon die Absicht. Aber insgesamt bleibt dieser Ausfluss einer stinkenden Wanze sogar noch hinter Gaddafi zurück.“ Es fehle überall an Gesinnung, auch wenn die Ratte Beckstein manch eine Scharte auswetze. „Wie soll es da vorangehen mit Deutschland?“

Überhaupt sei das Handwerk abhanden gekommen. Annegret Dotterweich serviert leckere Mohrenköpfe. „Kräftig reinbeißen“, ermuntert die Hausfrau. „Wissen die Jungen denn überhaupt noch, was das ist, ein Gerundiv? Wo bleiben Vokalharmonie und Rhythmus, wo der Kontrapunkt?“ Voller Entsetzen weist er auf ein Flugblatt der Bunten Liste Freiburg. „So was gehört verboten. Da müsste der Staat eingreifen. Aber der Stoiber!“, die Augen Dotterweichs beginnen zu funkeln: „Schlagen sollt ihr ihn, wo immer ihr ihn seht. Und wenn er um Gnade winselt, dann schlagt ihn noch einmal!“ Gemahlin Annegret gießt Tee nach: „Wieder mit Zucker?“ – „Und wenn er an eure Türe klopft, dann lockt ihn ins Haus, bietet ihm blaue Zipfel an. Und wenn er sich sicher dünkt und noch ein Seidel verlangt, dann drescht auf ihn ein, so stark ihr nur könnt. Denn wisset, dieser Sohn einer furzenden Vettel hat Gott gelästert. Erhalten soll er schmähliche Pein.“ – „Ach, Karl“, ermahnt Annegret, „doch nicht hier vor den Gästen.“

Seit seinem großen Auftritt im nahe gelegenen Wallfahrtsort Vierzehnheiligen vor vier Jahren habe das Interesse jedoch deutlich abgenommen. Habe er ahnen können, dass die CSU dort vermehrt Wählerfang betreibe? Die Menschen sehnten sich nach den einfachen Botschaften. Und damit könne er nicht dienen. Heute konzentriere er sich zumeist auf die Abfassung von Schmähbriefen. Aber das habe kaum Zukunft. Zum Abschied – Frau Dotterweich hat uns mit Zimtsternen versorgt – verfinstert sich der Blick des Karl Dotterweich. „Letztlich“, so murmelt er mit einem tiefen Seufzer, „bleibt man allein. Allein und unverstanden.“

GERMAN NEUNDORFER