Kraft sparen und Zeitinseln schaffen

PFLEGEHILFE Die Angehörigenschule der Diakonie bietet Kurse und Beratung für Verwandte und andere, die ihre Nächsten zu Hause pflegen. In zwei von drei Fällen versorgen Menschen ihre Angehörigen ohne Hilfsdienst

„Viele opfern sich auf – kündigen ihren Job – und denken nicht daran, dass das acht oder zehn Jahre dauern kann“

Martin Moritz, Pflegeberater

VON ELENA OCHOA

Es passiert nicht immer plötzlich, doch wenn dann heftig: Der Ehemann bekommt einen Schlaganfall und braucht lebenslange Pflege. Die Mutter leidet an Demenz – verliert ihr Kurzzeitgedächtnis, erkennt Bekannte nicht mehr und stellt dieselben Fragen mehrmals nacheinander. Man mag sie nicht alleine lassen, denn oft vergisst sie, dass der Herd noch an ist. Auch der Opa leidet an Parkinson. Die Krankheit lässt teile seiner Muskeln zittern, andere wiederum erstarren. Bald kann er sich nicht mehr alleine helfen. Was tun, ist hier die Frage?

Die Angehörigenschule des Diakonischen Werks in Hamburg bietet als erste Einrichtung nicht nur Beratung, sondern auch Kurse, Hausbesuche und psychologische Unterstützung für die pflegenden Verwandten. Ihr Leiter ist Martin Moritz, ein examinierter Altenpfleger, der jahrelange Erfahrung als Pflegeberater hat. Die Schule befindet sich in den Räumen der Asklepios-Kliniken Harburg und Barmbek, die auch als Anlaufstelle für pflegende Angehörige dienen.

„Zweidrittel der Menschen pflegen ihre Verwandten ohne einen Pflegedienst“, sagt Moritz. Er habe auch festgestellt, dass es schwer sei als professioneller Helfer auf die Leute zuzugehen. Zumeist befänden sie sich in einer Phase, in der sie alles alleine machen wollen und sich nicht vorstellen können, mit einem Pflegedienst zusammenzuarbeiten. Seine Beratungen sind daher unabhängig, und wettbewerbsneutral und für die Betroffenen kostenlos und werden, sofern sie nicht mit den Kassen abgerechnet werden können, über Spenden finanziert. Die Kurse sind gebührenfrei und werden von der Pflegekasse bezahlt.

Moritz’ Angehörigenschule basiert auf vier Säulen: Zunächst gibt es eine Beratung im Büro in Barmbek oder in Harburg. Während der Sprechzeiten können hier Betroffene mit allen Pflegefragen vorbeischauen. Auch telefonisch sind Termine vereinbar. In Pflegekursen können sich die Angehörigen praktisches wie auch theoretisches Wissen aneignen. Darüber hinaus bietet die Schule individuelle Schulung und Beratung an, entweder bereits im Krankenhaus oder zu Hause.

Die vierte Säule heißt „Eldercare“. Hier geht es darum, Pflege und Beruf vereinbar zu machen: „Ein Pflegefall trifft einen meistens Knall auf Fall, selten wenden sich Arbeitnehmer dann an den Sozialdienst der Firma“, sagt Moritz. Die Angst im Beruf durch eine Doppelbelastung nicht mehr für voll genommen zu werden, sei zu groß. „Du bist unseren Anforderungen nicht mehr gewachsen, wenn du nebenher noch 20 Stunden Pflege machst“, sind Sätze, die Angehörige fürchten, erklärt Moritz.

Auch die Pünktlichkeit kann beispielsweise bei der Pflege eines Demenzkranken nicht mehr gewährt werden. „Er will nicht aufstehen, ich komm’ nicht voran“, zitiert Moritz Betroffene aus seinen Kursen. Und wenn der Angehörige dann wisse, wie man mit einem Demenzkranken umzugehen hat, könne man Stress vermeiden. Lösungsmöglichkeiten mit der Firma zu finden, ist hier wichtig. Durch flexiblere Arbeitszeiten, Homeoffice oder Absprachen ähnlich wie bei Eltern, können schon Rahmenbedingungen geschaffen werden, die sowohl für den Arbeitnehmer wie auch den Arbeitgeber von Vorteil sind. Die Firma kann ihre Fachkräfte behalten und der Pflegende seinen Job und somit einen Teil seines Lebens.

„Viele Angehörige opfern sich selber auf – sie kündigen ihren Job und machen sich keine Gedanken darüber, dass das acht oder zehn Jahre dauern kann“, sagt Moritz. „Wir versuchen den Pflegeprozess mehr aus der Perspektive der Angehörigen zu denken.“ Sie würden es tun, weil es sich so gehöre, sich um seinen kranken Mann zu kümmern. „Man muss ihnen das Gefühl geben“, erklärt Moritz weiter, „dass sie kein schlechter Mensch sind, wenn sie sich mal um sich selber kümmern.“ Daher bietet die Angehörigenschule in ihren Spezialkursen zu bestimmten Krankheitsbildern nicht nur Wissen über die richtige Pflege eines Schlaganfallpatienten. Die Schaffung von Zeitinseln für den Pflegenden und die Organisation des Alltags bei einer spezifischen Krankheit steht vor allem im Mittelpunkt. Besonders Kinaesthetics-Kurse können sowohl dem Patienten als auch dem Pflegenden helfen. Hier geht es darum, die Möglichkeiten von durch Krankheit eingeschränkten Leuten so zu nutzen, dass der Pflegende möglichst wenig Kraft aufwenden muss.

Die meisten hätten Fähigkeiten und könnten im Grunde mithelfen. „Eine Frau ging mit ihrem Mann öfters spazieren“, erzählt Moritz, „allerdings hatte er öfters Ausfälle und fiel hin.“ Im Kurs erklärte sie, zu Hause würde sie in solchen Fällen den Stuhl zur Hilfe nehmen, daran könne er sich selber hochziehen. Diese Fähigkeit diente als Ansatz für eine neue Methode mit wenig Aufwand für beide. „Im Grunde hat sie sich dann nachher immer nur hingekniet und er hat sich daran hoch gedrückt.“ Dies sei ein genialer Einfall für sie und ihn, der sie nicht um fremde Hilfe betteln lassen müsse und auch dem Gepflegten ein Stück Würde wieder gebe.

Infos zu Kursprogramm und Anmeldung im Internet unter: www.angehoerigenschule.de