Von Soldaten und Riten des Übergangs

WEHRPFLICHT Erhellend: Die Dokumentarfilmfeihe „Regie und Regiment“ im Zeughauskino

Großartig, wie hier an einem marginalen Dokument, einem Rekrutierungsfilm der Bundeswehr, implizit eine Verfassungstheorie ersichtlich wird

„Genommen!“ Mit diesem Freudenruf verkündet Hein Petersen seiner Mutter, dass er zur deutschen Marine einrücken wird. Er verbindet damit nicht so sehr den Ersten Weltkrieg, sondern Abenteuer und Ertüchtigung: „Frisch, fromm, fröhlich, frei, das ist die deutsche Turnerei.“ Die ein wenig naiv wirkende Motivlage von Hein Petersen hat mit dem Film zu tun, in dem er zu sehen ist: „Bilder aus dem Leben eines Schiffsjungen“ ist ein Rekrutierungsfilm, der 1917 noch unter der Leitung des Kaiserlichen Bild- und Filmamts entstand, aber erst 1921 von der Ufa katalogisiert wurde.

In den vier Jahren dazwischen war so viel passiert, dass die Beschränkung des Films auf „Dingi-Wettrennen“ und Essenfassen nur zu angebracht war – jede politische Instrumentierung der deutschen Seefahrt verbot sich nach 1918, und so fiel „Hein Petersen – Bilder aus dem Leben eines Schiffsjungen“ in ein historisches Loch, aus dem er diese Woche für ein Programm im Zeughaus-Kino des Deutschen Historischen Museums geborgen wurde.

Dort laufen in den kommenden Wochen Fundstücke zum Thema „Regie und Regiment. Deutschland und das Militär in dokumentarischen Filmen von 1914 bis 1989“. Der Eröffnungsabend gab die Richtung vor. Gezeigt wurde vier Auseinandersetzungen mit dem militärischen Komplex, vier Filme, in denen neben dem kaiserlichen auch noch das nationalsozialistische Deutschland sowie die BRD und die DDR ein Verhältnis zu ihren Streitkräften entwarfen. „Jungens wollen zur See“ (Wilhelm Stöppler, 1940) überraschte durch seine internationale Perspektive: spanische und italienische Kinder und Jugendliche werden dort früh und spielerisch für den Marinedienst geprägt, und auch Deutschland rückt in der „Reichsseesportschule Gorch Fock“ an der Dahme Sport und Spiel in den Mittelpunkt. Die Stimme aus dem Off lässt aber an dem Kontext der Ertüchtigungen keinen Zweifel: „Ehe England war, fuhren Deutsche zur See“. Dabei wird auch das Erbe der Hanse für den NS-Militarismus reklamiert.

Vor dem Hintergrund dieser Korrumpierung einer ganzen Generation wird plausibel, dass eine Einberufung zur Bundeswehr im Jahr 1966 nicht unhinterfragt bleiben kann. „Warum/wofür fragen sich Bonner Berufsschüler“ verleiht diesem Zweifel Ausdruck, indem ein jugendlicher Protagonist auf ein Kriegsschiff geschickt wird, um sich ein Bild davon zu machen, wie die BRD erforderlichenfalls „Recht und Frieden“ verteidigen will. „Man ist heute nicht mehr romantisch“, räsonniert der Kommentator aus dem Off, nur um dann eine pragmatische Rechtfertigung für den Wehrdienst zu geben: „Die Richtung muss stimmen, der Rest liegt an einem selbst.“

Großartig, wie hier an einem marginalen Dokument implizit eine Verfassungstheorie ersichtlich wird. „Warum/wofür fragen sich Bonner Berufsschüler“ macht noch einmal bewusst, was mit der Abschaffung der Wehrpflicht auch verloren geht – ein „Ritus des Übergangs“, an dem die Definiton der jeweils eigenen Staatsbürgerlichkeit gefragt ist. Eine Definition, die in dem DDR-Film „Soldatenpflicht“ (1976) indoktriniert wird – dort wird die militärische Ausbildung, die in einem „Härtekomplex“ gipfelt, der an amerikanische Drillübungen erinnert, ausdrücklich aus den Erfahrungen der Geschichte hergeleitet. Die sowjetischen Opfer vor den Seelower Höhen 1945 sind das Leitbild für die Verteidigung gegen einen Feind, in dessen Konstruktion sich sicher kein Bonner Berufsschüler wiedererkennen hätte wollen.

Dieser Systemunterschied wurde zum Auftakt von „Regie und Regiment“ so deutlich wie auch viele andere – die restlichen sieben Programme versprechen eine Menge ähnlich erhellender Dokumente. BERT REBHANDL

■ 6. 1. bis 10. 2. www.dhm.de/kino