„Ich will hundert Jahre alt werden“

BLICK IN DIE ZUKUNFT Ingeborg Scharberth ist 90. Sie wünscht sich vor allem Gesundheit

■  Mit dem Jahreswechsel hat auch ein neues Jahrzehnt begonnen. Die taz nimmt das zum Anlass, gleich zehn Jahre vorauszuschauen. Wie wird Berlin sein im Jahr 2020? Werden wir von Touristen überrollt? Wird sich die Arbeit ohne Industrie ändern? Was wird aus den Bürgerbewegungen? Und was aus dem Verkehr? Wie entwickelt sich die Kultur?

■  Die taz hat sich umgeschaut, Experten gefragt – und ganz normale Berliner. Die Antworten präsentierten wir in unserer Serie „Berlin 2020“. Mit dem heutigen Ausblick durch einen pessimistischen Autor und zwei optimistischen älteren Damen endet die Serie. (taz)

Seit ich 15 Jahre alt bin, wohne ich in Berlin. 1935 bin ich mit meiner Familie nach Kreuzberg gezogen, weil mein Vater eine neue Arbeit gefunden hat. Gegen Ende des Krieges wurde meine gesamte Familie verschüttet. Eine Bombe hatte das Haus getroffen. Meine Eltern, meine Schwester, ich hatte niemanden mehr. Ich selber war zu dem Zeitpunkt nicht in Berlin, sondern in Prag. Ich war 25 und stand plötzlich mutterseelenalleine da. Und das nach dem Krieg. Das war sehr schwer, aber ich dachte, wenn ich das schaffe, dann werde ich alles andere auch schaffen.

Und ich habe es geschafft. Ich hatte eine Bekannte, die mir als gelernte Schneiderin eine Arbeit in einer Schneiderei vermittelt hat. Die Besitzerin hatte gute Kontakte, daher hat sie nach dem Krieg Stoffe bekommen, aus denen wir etwas nähen konnten. Die Arbeit war ein großes Privileg, weil ich so keine Steine klopfen musste. Da hatte ich Glück.

Die Stadt hat sich seitdem sehr verändert, alles musste ja neu aufgebaut werden. Ich weiß gar nicht, ob da in den nächsten zehn Jahren viel passieren wird. Ich komme aber auch nicht mehr viel rum, das Alter macht lange Fahrten irgendwann beschwerlich.

Ich habe immer gesagt, ich will hundert Jahre alt werden. Und das will ich immer noch. Auch wenn ich die 90 jetzt geschafft habe und das schon ganz schön viel ist. Aber ich mache keine Pläne mehr. Gesund bleiben will ich, das ist wichtig.

Und ich habe ja noch meine Pflanzen. Schon früher, wenn ich Samentüten gekauft und welche davon verschenkt habe, sind bei mir immer mehr Pflanzen aufgegangen als bei den anderen. Ich habe wohl einen grünen Daumen. Auch in meiner Wohnung sind viele Pflanzen und auf dem Balkon. Ich habe auch einen Garten, um den kann ich mich aber nicht mehr selbst kümmern, auch wenn ich das gerne würde. Wenn mein Enkel den Garten in zehn Jahren so schön machen würde, wie ich früher, das würde ich mir wünschen. PROTOKOLL: SVE Foto: privat