Der ewig junge Capitaine

UTOPIE Thomas Sankara war ein Held der afrikanischen Welt. In den Achtzigerjahren versuchte er, Burkina Faso zum Land der Unbestechlichen zu machen. 1987 wurde er ermordet. Noch heute wird er verehrt

Lange her, dass der Präsident Thomas Sankara hieß. Doch noch immer ist er allgegenwärtig

VON ANSELM KISSEL
(FOTOS) UND MARIANNE LANGE (TEXT)

Vor ihrem Ladenlokal sitzt Madame Ouattara und frühstückt, ihre Wettkneipe gleich nebenan hat sie fest im Blick. Seit 1992 hat sie hier in der Cité An 3 ihr Geschäft. Das Viertel wurde Mitte der Achtzigerjahre gebaut, im dritten Amtsjahr des charismatischen Präsidenten Thomas Sankara. Es war Teil eines groß angelegten sozialen Wohnungsbauprogramms: unten Läden, oben Wohnungen, die nach zwanzig Jahren Eigentum der Mieter wurden. Zwei ältere Herren, die am Nebentisch sitzen, mischen sich ein. „Die Häuser sind solide“, sagen sie, „das sind eben Sankara-Bauten.“

Es ist lange her, dass der Präsident von Burkina Faso Thomas Sankara hieß. Seine Amtszeit dauerte nur vier Jahre, von 1983 bis 1987. Doch noch immer ist der „Capitaine“ allgegenwärtig. Straßen und Plätze sind nach ihm benannt, auf T-Shirts sieht man sein Konterfei: ein ewig junger Mann mit Barett, der sich mit 33 Jahren an die Macht putschte und bei einem Staatsstreich vier Jahre später getötet wurde.

„Sankara war ein echter Unabhängigkeitskämpfer“, sagt der Rapper Smokey, „einer wie Patrice Lumumba.“ Und tatsächlich, als politischer Ideengeber ist „ThomSank“ in Burkina Faso noch immer präsent. „Sein Name steht für eine Chance“, erklärt eine Lehrerin, „für eine Epoche, in der unser Land zum ersten Mal etwas darstellte in der Welt, auf das wir als Afrikanerinnen und Afrikaner stolz sein konnten.“ Thomas Sankara bringt noch immer Menschen zum Träumen. Gesundheit und Bildung gehörten zu seinen wichtigsten politischen Zielen in dem Land, das im Jahre 1960, als es unabhängig von Frankreich wurde, nur zwei Gymnasien hatte. Beamte sollten nicht prassen, Volkstribunale richteten über Verschwender öffentlicher Gelder.

Thomas Sankaras Dienstwagen war ein winziger Renault 5, sein Amtssitz bescheiden. Er forderte seine Wähler auf, Kleidung aus heimischer Baumwolle zu tragen, Produkte aus lokalem Anbau zu essen. Sein Ziel: eine neue selbstbewusste Identität. Als Staatschef sprach Sankara vor den Vereinten Nationen in New York über Afrikas Streben nach Autonomie, die Abkehr von den Kolonialmächten.

Das größte Fußballstadion in Ouagadougou stammt ebenfalls aus der Sankara-Zeit. „Stade du 4-Août“ heißt es, benannt nach dem Tag der Revolution 1983 in Obervolta, wie das Land damals noch hieß. Sankara gab dem Land seinen neuen offiziellen Namen: „Burkina Faso. Land der Unbestechlichen“.

Am 15. Oktober 1987 wurde Sankara bei einem Militärputsch getötet. Doch bis heute leben seine politischen Ideen fort. Sein Waffenbruder Blaise Compaoré ist seit 23 Jahren an der Macht, gerade wurde er wiedergewählt, zur Wahl gingen aber nur 25 Prozent der Bürger. Denn die Sankaristen sind gespalten.

Am Wahltag trat ihr Vertreter in der Wahlkommission unter Protest von seinem Posten zurück. Sein Name: Mousbila Sankara, ein Onkel von Thomas Sankara. „Ich war Gewerkschafter“, erzählt er heute, „ich mochte die Ideen meines Neffen und machte mit. Ich war Botschafter in Libyen, vier Jahre. Dann folgten vier Jahre Gefängnis.“

Thomas Sankaras Anhänger ehren ihren Helden noch immer. Jedes Jahr streichen sie seine Grabstätte mit frischer Farbe an. Nicht nur seine Witwe bezweifelt, dass er tatsächlich da liegt. Doch die Akte Sankara wurde längst geschlossen.