Neon-Szenen einer Nacht

Wie durch einen Zoom fokussiert Haruki Murakami im Roman Orte nächtlicher Handlungen, die sich dramatisch verbinden und in der Fantasie weiter entfalten. Das Theater kann da nicht mithalten

VON PETER ORTMANN

Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami ist ein Schlafwandler, der bei vollem Bewusstsein durch viele Welten reist. „Afterdark“ ist sein letzter Roman. Der erreichte in den Bochumer Kammerspielen jetzt die Theater-Bühne. Kalt und neonsüchtig ist dort der Raum. Zweimal 13 Plastikschalen bilden eine Reihe im leeren Fastfood-Restaurant, in der die Zeit gedehnt wird. Dazu eine riesige Videowand. Die junge Studentin Mari Asai verbringt dort eine Nacht von Mitternacht bis zum Morgengrauen. Mitten in Tokio. Aber das spielt eigentlich keine Rolle. Der Raum könnte auch in einer metropolen Gegenwelt am Ende der Galaxis liegen. Die einzelnen Figuren erleben in dieser Nacht unerhörte Geschichten oder träumen sie vielleicht nur?

Mari trifft auf den schüchternen, jungen Jazz-Posaunisten Tetsyua, der die selbe Nacht eigentlich bei einer Probe mit seiner Band verbringen will. Doch er kennt Maris Schwester und kommen die beiden in ein Gespräch, in dem endlos Worte am Gegenüber vorbei fliegen. Zwei Autisten kommen sich im Koma näher, doch die Planeten, auf denen sie leben, sind nicht die gleichen. Maris Schwester (Regisseur Holger Weimar hat sie mit der japanischen Choreographin und Tänzerin Maya Sakamoto aus Düsseldorf besetzt) hat sich gleich freiwillig in einen wochenlangen komatösen Schlaf verabschiedet. Vielleicht ist der auch die wahre Realität. In „Afterdark“, bleiben die Lebensentwürfe einer in Metropolen verlorenen gegangene Jugend neblig. Eigentlich eine westliche Attitüde. Doch schon von Kindheit an interessierte sich Murakami (57) mehr für amerikanische als für japanische Literatur. Da Kobe, in der er aufwuchs, eine Hafenstadt war, wo viele amerikanische Marinesoldaten stationiert waren, hatte er es nicht schwer, in den Second-Hand-Buchläden an amerikanische Paperbacks zu gelangen. Die japanische Literaturszene hat ihm dies immer ziemlich übel genommen. Und so tauchen in der Handlung zeitgenössische Probleme der Großstadt auf, die in Japan traditionell eher geleugnet werden.

Der Zuschauer begegnet in dieser Fastfood-Nacht auch der hippen Geschäftsführerin (eine Ex-Ringerin) eines Love-Hotels, in dem gerade eine chinesische Prostituierte (auch Maya Sakamoto) von einem Freier (Martin Rentsch) blutig geschlagen wurde. Der Nachtarbeiter Shirokawa hat der Prostituierten alle Kleider und das Handy gestohlen, das er im Restaurant unter dem Teppich versteckt, wo es der Posaunist irgendwann findet. Da sind die japanischen Zuhälter schon auf einem Racheweg, dessen Ende niemand kennen wird. Mari, immer noch ohne Schlaf, stellt im Morgengrauen fest, dass ihr der Posaunist etwas bedeutet, dass ihre Schwester unerreichbar fern ist und dass sie ihr Studium in China nicht aufnehmen will. Das Ende, das keins sein will, fließt die Rampe hinunter. Die Geschichten der Protagonisten spinnen sich in der Fantasie des Zuschauers weiter, lange nachdem er das Theater verlassen hat.

Die Murakami-Inszenierung hinkt leider hinter dem Roman her. Die schlafwandlerischen Geschichten, die Einbahnstraßen-Handlungen und ihre offenen Stränge haben viel vom nur schwach durchsichtigen Murakami-Nebel verloren. Was bleibt, ist eine Ahnung, warum es Literatur und Theater gibt. Der Sohn eines Buddhistenpriesters entführt mit Buchstaben weiter in die endlosen Schleichwege des Gehirns als all die Schauspieler.

20:00 Uhr, KammerSchauspielhaus BochumInfos: 0234-33335555