Gepanzerte Beamte stürmen Kinderzimmer

POLIZEIGEWALT Ein umstrittener Polizeieinsatz einer Göttinger Spezialeinheit bei einer geplanten Abschiebung beschäftigt demnächst das Göttinger Verwaltungsgericht

Die geplante Abschiebung fand nicht statt. Dennoch ist der umstrittene Polizeieinsatz der Göttingen Beweissicherung und Festnahmeeinheit (BFE) am 10. April dieses Jahres jetzt Gegenstand zweier Klagen gegen die Polizeidirektion Göttingen vor dem Verwaltungsgericht in Göttingen. „Wir halten den Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung sowie die massive Anwendung von Gewalt durch die BFE-Beamten für rechtswidrig“, führt der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam aus, der die Kläger in beiden Verfahren vertritt.

Hintergrund war die geplante Abschiebung eines 29-jährigen Somaliers. Als Polizisten an dem Haus eintrafen, hatten rund 50 Flüchtlings-Unterstützer den Eingang versperrt. Die BFE wurde zur Unterstützung gerufen, konnte aber die Haustür nicht öffnen. Deshalb klopften sie an dem Kinderzimmerfenster einer Souterrain-Wohnung. Als die 32-jährige Mutter das Fenster öffnete, seien mindestens ein Dutzend Polizisten mit Knüppeln und Reizgas durch das Kinderzimmer ins Treppenhaus gestürmt. „Die Mutter und ihr dreijähriger Sohn mussten mit ansehen, wie behelmte und gepanzerte BFE-Beamte durch das Fenster ihrer Wohnung in das Wohnhaus eindrangen. Anschließend brachten die Beamten teils verletzte Personen durch die Wohnung wieder in den Garten des Hauses“, sagt Anwalt Adam.

Auf Seiten der Aktivisten gab es Verletzungen durch Faust und Knüppelschläge, Treppenstürze oder Pfefferspray-Einsatz. „Mein 22-jähriger Mandant, der sich völlig friedlich zum Protest gegen die Abschiebung im Treppenhaus aufgehalten hat, ist aufgrund des Reizgas-Einsatzes bewusstlos aus dem Haus getragen worden und musste von Sanitätern behandelt werden“, sagt Adam. Nach der polizeilichen Eskalation hatte die Stadt Göttingen die Abschiebung stoppen lassen. Der Somalier befindet sich zurzeit im Kirchenasyl.

Die Polizei muss nun Einsicht in die Einsatzprotokolle gewähren. „Ich habe Zweifel“, so Adam, „ob die bisherige Darstellung, die BFE sei besonnen und angemessen vorgegangen, nach der Vorlage der Akten noch aufrechterhalten werden kann.“  KVA