Die toten Tagelöhner von Bagdad

Um im Irak Angst und Schrecken zu verbreiten, denken sich Attentäter immer brutalere Methoden aus

KAIRO taz ■ Die Methode ist einfach, brutal und effektiv. Man fährt mit seinem mit Sprengstoff beladenen Kleinbus zum Tajaran-Platz im Zentrum Bagdads, dort wo sich wie jeden Morgen die Ärmsten der Armen auf der verzweifelten Suche nach einem Tagesjob versammeln. Dann gibt man vor, Arbeit zu vergeben und wartet, bis sich die größtmögliche Menge Tagelöhner um das Fahrzeug gruppiert hat. Das ist der Zeitpunkt, die Bombe zu zünden. Ein zweites Bombenauto in unmittelbarer Nähe explodiert, wenn die Überlebenden des ersten Anschlags auf diese Seite des Platzes fliehen.

Das war genau das Szenario des gestrigen Doppelanschlages in Bagdad, der sich in seiner zynischen Planung kaum überbieten lässt. Mindestens 60 Menschen starben, über 150 wurden nach Polizeiangaben verwundet. Zum Anschlagsziel wurden sie wahrscheinlich, weil sie schiitische Tagelöhner waren, aus dem nahe gelegenen Viertel Sadr-Stadt.

„Wir verurteilen den Anschlag und werden die Verbrecher jagen und ihnen ihre Strafe zukommen lassen“, heißt es in einer kurzen Erklärung aus dem Büro des Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki. Aber wie immer wird auch diesmal nicht herausgefunden werden, wer hinter dem Anschlag steckt. Alle werden davon ausgehen, dass es sich um sunnitische militante Islamisten aus dem Dunstkreis al-Qaidas handelt. Vielleicht wollte sich auch jemand dafür rächen, dass schiitische Milizen in Polizeiuniformen ein Mitglied seiner Familie abgeholt haben, dessen Leiche dann am nächsten Morgen in den Straßengräben der Stadt aufgefunden wurde – wie 80 bis 100 andere jeden Tag.

„Nach den Explosionen gab es niemanden mehr, der noch auf dem Platz stand. Ich habe gedacht, sie sind alle tot“, sagt später der Tagelöhner Chaled Nasser, ein Augenzeuge. Alle seine Freunde, erzählt er, „sind in zwei Hälften zerrissen worden oder hatten keine Arme und Beine mehr. Von anderen habe ich nur noch den Kopf gefunden.“

Es war nicht der erste Anschlag auf die Tagelöhner vom Tajaran-Platz, unweit der Tigrisbrücke. Aber die Opferzahlen dort steigen genauso stetig wie die Zahl der Menschen, die dort täglich Arbeit suchen. In einigen Gebieten des Iraks liegt die Arbeitslosenrate bei 70, im Landesdurchschnitt etwas über 50 Prozent. So repräsentiert der Tajaran-Platz auch einen der Gründe für die unsichere Lage im Land. „Nach drei Jahren mit einer Arbeitslosenrate von über 50 Prozent würde es keinen Ort auf der ganzen Welt geben, in dem nicht Gewalt und Milizen vorherrschen“, fasst Generalleutnant Peter Chiarelli, einer der obersten US-Feldkommandanten das zusammen. Unsicherheit schafft Arbeitslosigkeit und viele junge Männer ohne Beschäftigung, die ihrerseits zur Unsicherheit beitragen, lautet seine einfache Kalkulation. „Wir sollten die Arbeitslosigkeit stärker bekämpfen, anstatt mehr Kampftruppen zu schicken, um einen unsichtbaren Feind aufzuspüren“, schlussfolgert er.

Die gestrigen Anschläge haben jedenfalls selbst die hartgesottene irakische Gesellschaft schockiert, und das jenseits der konfessionellen Grenzen. Der Sprecher des Parlaments, Mahmud al-Maschadani, ein Sunnit, hat dieses Gefühl gestern wohl am besten zusammengefasst. „Heute haben wir wieder ein Massaker erlebt, wie es die Iraker jeden Morgen erleben, mit Opfern, die einfach nur das Überleben ihrer Familien sichern wollten und dafür nun in Stücke gerissen wurden“, sagte er in einer Rede vor den anderen Abgeordneten und fügte hinzu: „Möge Gott diejenigen verfluchen, die hinter diesem Anschlag stecken“.KARIM EL-GAWHARY