Der Knalleffekt

AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL

War es nun ein Ausrutscher oder geplant? Die Enthüllungen des israelischen Premierministers Ehud Olmert, der Israel wie nebenbei in die Riege der Atomstaaten einreihte, lösten in Israel einiges Erstaunen aus. Fast 50 Jahre blieben sämtliche Regierungen Israels der Politik der Vernebelung treu, da plappert der Premierminister unverblümt ins Mikrofon des Fernsehsenders Sat.1: „Iran droht explizit und offen mit dem Ausradieren Israels von der Landkarte. Würden Sie sagen, dass das die gleiche Ebene ist, wenn sie nukleare Waffen anstreben, so wie Amerika, Frankreich, Israel und Russland?“

Das gesamte Abgeordnetenhaus ist empört. Juwal Steinitz (Likud) rief zum Rücktritt des Regierungschefs auf, dessen „Serie problematischer verbaler Ausrutscher in Verteidigungssachen“ zunehmend unerträglich würden. Ein Premierminister, der seine Aussagen nicht unter Kontrolle habe, müsse abtreten, meinte der Likud-Politiker.

Ähnlich die Kritik von links: „Die fantastischen Bemerkungen des Premierministers zum Atomthema reflektieren seine Nachlässigkeit“, sagte der Chef des linken Parteienbündnisses Jossi Beilin, der „ernsthafte Zweifel“ daran hegt, ob Olmert für den Posten des Regierungschefs geeignet sei. Nur Mordechai Vanunu, Israels berühmter Atomspion, der für das Ausplaudern geheimer Informationen 18 Jahre in Isolationshaft verbüßte, lobte die Äußerungen, die „den Lügen und der Vernebelungspolitik Israels endlich ein Ende machen“.

Wie zufällig kommen die überraschenden Enthüllungen kaum eine Woche nach den Äußerungen des designierten US-Verteidigungsministers Robert Gates, der das mögliche Streben Irans nach Atomwaffen damit begründete, dass die Iraner „von Mächten mit Atomwaffen“ umgeben sind. „Pakistan im Osten, Russland im Norden, Israel im Westen und uns (USA) im Golf.“ In Jerusalem hatte man gereizt auf die überraschenden Enthüllungen reagiert.

„No show, no tell“, so resümierte einst Olmerts Vorgänger im Regierungshaus, Ariel Scharon, die israelische Politik der Vernebelung, die sich „als richtig erwiesen hat“. Hintergrund der Geheimhaltung war die anfängliche Ablehnung des israelischen Atomprogramms durch die USA. Die Amerikaner sorgten sich vor einem Wettrüsten im Nahen Osten. Ende der 60er-Jahre stimmten die USA dem Atomprogramm zu, vorausgesetzt Israel gesteht den Besitz der Waffe niemals öffentlich ein. Diese „atomare Zweideutigkeit“, so der Fachterminus, ersparte Israel internationale Inspektionen. Abgesehen von der frühen Anfangsphase, in der Mosche Dajan, legendärer israelischer Verteidigungsminister, noch öffentlich für die „Entwicklung von Raketen mit konventionellen und atomaren Sprengköpfen“ plädierte, hielten sich alle Politiker in Jerusalem strikt an das Abkommen mit den USA.

Als Mitte der 70er-Jahre der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat von „Hinweisen“ auf „die Entwicklung einer taktischen Atomwaffe in Israel“ sprach, konterte Schimon Peres, der damals Verteidigungsminister war: „Sadat sammelt selbstfabrizierte Informationen.“ Peres spielte von Beginn an eine zentrale Rolle im israelischen Atomprogramm und führte die Verhandlungen über den Kauf von angereichertem Uranium. Bereits in den 50er-Jahren fand ein geheimer Handel mit Frankreich statt, später mit Südafrika.

Der in der Negev-Kleinstadt Dimona gelegene Reaktor liefert heute das Plutonium. Die offiziell als Forschungsanlage deklarierte Station liegt in einer wüstenähnlichen Gegend, gut geschützt von Militärpatrouillen, Stacheldraht und Warnanlagen. Fast jedes Kind kennt die beiden Orte Sacharia und Eilabun, wo die Raketen gelagert sind. Der Reaktor steht bis heute nicht unter öffentlicher Kontrolle. Selbst Abgeordneten wird der Zugang verweigert.