„Frauen sollen Kastanien aus Feuer holen“

Ex-Sozialministerin Birgit Fischer traut der neuen Spitzenkandidatin Kraft mehr zu als den männlichen Genossen

taz: Frau Fischer, Hannelore Kraft ist die erste Frau, die Nordrhein-Westfalen regieren könnte. Ist das Geschlecht ihr Bonus?

Birgit Fischer: Es ist beides – Vorteil und Hürde zugleich. Gegenwärtig stehen die Zeichen für eine neue Stimmung in der Partei, sie will neue Köpfe, neue Ideen. Aber es wird nicht immer einfach sein. Kraft wird mit Vorbehalten kämpfen müssen, um von sich und den eigenen Ideen zu überzeugen.

Das muss ein Mann auch.

Ja. Aber Frauen müssen es sich härter erarbeiten und werden kritischer betrachtet. Dann wird auch die Chance gesehen.

Worin liegt denn die Chance? Regieren Frauen anders?

Frauen sind offener, schauen aufmerksamer hin, beziehen andere mit ein und ziehen dann ihre Konsequenzen. Und vor allem: Sie tun dies im Team, rückkoppeln sich mit ihren MitarbeiterInnen. Sie analysieren nicht nur, sondern setzen auch um. Männer steuern oft rational, Frauen agieren mit Herz und Verstand.

Das klingt nach Klischee: Die Frau hat ein gutes Herz, der Mann den kühlen Kopf.

Nein, es kommt doch ganz einfach darauf an, beides zu besitzen und in einer guten Balance zu halten. Emotionen und Ratio gehören zusammen, wenn man nicht auf‘s Glatteis geführt werden will. Aber genau diese Balance, das Zusammenspiel von Kopf und Bauch, besitzt Hannelore Kraft.

Was heißt das?

Sie hat ein sozialpolitisches Gespür und Verständnis, kämpft für Schwächere. Als Wirtschaftswissenschaftlerin hat sie aber auch ein starkes ökonomisches Verständnis. Sie wird die Sozial- und Wirtschaftspolitik zusammen führen.

Welche Erfahrungen haben sie in ihrer Amtszeit als Frau in der SPD gemacht?

Am Anfang war es schwierig mit wenig Frauen in der Politik. Mit der Zunahme der verantwortlichen Frauen in der Partei hat sich das aber verbessert, ein absoluter Erfolg der Quote. Die Akzeptanz nahm zu. Mittlerweile werden die Chancen erkannt.

Sowohl Angela Merkel als auch Hannelore Kraft wurden erst berufen, als die Umfragewerte im Keller waren.

Das habe ich durchgängig erfahren: In besonderen Konfliktzeiten werden Frauen gerufen, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

Woran liegt das?

Ganz einfach: Nach der Macht greift jeder gerne. Aber das Ruder herum zu reißen, neue Lösungen zu finden, dafür braucht es schon besondere Fähigkeiten, die Frauen wie Hannelore Kraft mitbringen.

Sie singen ein Loblied auf Politikerinnen – sind sie auch ein Fan von Angela Merkel?

Ich bin kein Fan ihrer Politik. Aber sie hat einen Stil gefunden und es geschafft, sich gegenüber den Ministerpräsidenten zu behaupten. Das ist nicht zu verkennen.

INTERVIEW: ANNIKA JOERES