Moskau untersagt Dissidenten-Marsch

Der Oppositionelle und Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow klagt gegen das Demonstrationsverbot. Inlandsgeheimdienst durchsucht Büro eines der Mitorganisatoren des Protestes. Kasparows Sprecher: Teilnehmer sollen eingeschüchtert werden

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

Die „Vereinigte Bürgerfront“ (VBF) des ehemaligen Schachweltmeisters Garri Kasparow hat gestern gegen das Verbot einer für das kommende Wochenende geplanten Demonstration Widerspruch eingereicht. Mit einem breiten Bündnis oppositioneller Organisationen wollte die VBF einen „Marsch der Dissidenten“ durch Moskaus Stadtzentrum abhalten. Die Stadtbehörden untersagten die Demonstration, boten den Veranstaltern als Alternative jedoch eine „stationäre“ Versammlung auf dem Triumphplatz im Zentrum an.

Bereits am Vortag hatten Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes FSB die Räume der VBF nach „extremistischer Literatur“ durchsucht. Eine Sprecherin des Innenministeriums bestätigte, dass Bücher und Zeitungen konfisziert worden seien, die auf extremistischen Gehalt überprüft werden sollten. Dennoch sei es keine Hausdurchsuchung, sondern lediglich eine „vorbeugende Überprüfung“ gewesen.

Die Staatssicherheit hätte sich vornehmlich für die Infomaterialien interessiert, die auf der Demonstration verteilt werden sollten, sagte eine Mitarbeiterin Kasparows. In einer beschlagnahmten Ausgabe ermunterten die Autoren die Dissidenten, selbst „Teil der Macht zu werden“. Als gefährlich wurde offensichtlich auch die Aussage eingestuft: „Von nun an treffen wir die Wahl“. Nach einem neuen Extremismusgesetz können scharfe Kritik und „öffentliche Verleumdung von Staatsbeamten“ als Extremismus geahndet werden. Auch die Äußerung eines Korruptionsverdachtes könnte den Tatbestand erfüllen, fürchten Experten.

Kasparow wird gegen die Durchsuchung heute Klage einreichen. Er beruft sich auf den Anwalt Jurij Schmid, wonach das Vorgehen der Sicherheitsstrukturen nicht in Einklang mit der Gesetzeslage gestanden hätte. Kasparows Sprecher Denis Bilunow wertet den Übergriff als Versuch, die Teilnehmer des „Marsches“ vorab einzuschüchtern. Der Zeitpunkt der Durchsuchung war günstig gewählt. Die bekannteren Oppositionellen nahmen an einem Kongress des „Anderen Russlands“ teil.

Hinter dem „Anderen Russland“ (AR) verbirgt sich ebenfalls ein breites Bündnis oppositioneller Organisationen unterschiedlicher politischer Couleur. Wie die VBF verfolgt auch die AR keine ausgefeilte Programmatik oder Ideologie. Alle eint ein Ziel: der imitierten Demokratie sowie der Willkür von Staat und Geheimdiensten Paroli zu bieten. Im Rahmen des „AR“ sagte auch Expremier Michail Kasjanow seine Teilnahme am „Marsch der Dissidenten“ zu. Kasjanows Volksdemokratische Union ist ein Bündnis farbloser Splitterparteien. Der von Putin geschasste Premier versucht sich manchmal als dessen Gegenkandidat ins Gespräch zu bringen.